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Gesten der Hilflosigkeit inmitten einer zugemüllten Szenerie: Camilla Nylund als Elisabeth und Lars Cleveman in der Titelrolle von Richard Wagners "Tannhäuser".

Foto: AP/Timm Schamberger

Angekündigte Skandale finden zwar nur selten statt; eine gewisse Aufregung lässt sich aber in der Regel prognostizieren. Und so ist auch bei der Eröffnungspremiere der 100. Bayreuther Festspiele der große Eklat oder auch das Skandälchen, das deutsche Medien herbeizuschreiben versuchten, ausgeblieben.

Der Unmut des Publikums war dennoch mit Händen zu greifen, und am Ende ergoss sich ein Buh-Orkan über Regisseur Sebastian Baumgarten und sein Team: Kaum jemand applaudierte in diesem Augenblick, und nicht einmal die wenigen obligatorischen Bravos klangen überzeugend.

Nun ist es nicht so, dass solche gebündelten Missfallensäußerungen automatisch auf eine ingeniöse, nur leider unverstandene Inszenierung hindeuten, auch wenn es bereits Legionen an visionären, bahnbrechenden Arbeiten ebenso erging. Es ist aber nicht auszuschließen, dass allein Bühnenästhetik und eingebrachte Assoziationen ausreichten, um die allgemeine Ablehnung zu provozieren.

Die Probleme dieses Tannhäuser reichten freilich viel weiter. Ausführlich hatte sich das Leadingteam im Vorfeld der Premiere selbst kommentiert und dabei manche richtige Beobachtung gemacht, so zur Kontinuität von Wagners Sprache bis in die Gegenwart, etwa zur romantisierenden Lyrik der Rockband Rammstein (die in den Pausen zu hören war, wenn das Bühnengeschehen im Festspielhaus weiterging).

Nur: Die Schlüsse, die daraus gezogen und tatsächlich sichtbar wurden, blieben derart unkonturiert und allgemein, dass sie sich beim besten Willen nicht als spezifische Aussage in Hinblick auf die Oper aufschlüsseln ließen.

Brodelnde Biogasanlage

Ausgehend von Nietzsches altem Gegensatzpaar "dionysisch" und "apollinisch", das auch der Regisseur bemühte, veröffentlichte Dramaturg Claus Hegemann im Vorfeld unter anderem ein riesiges Blatt voller Dualismen, auf dem neben "Spaß" und "Ernst", fast schüchtern, auch das Wort "Konzept" seinen Platz hatte.

In seiner Anwendung wirkte das Konzept dieser Inszenierung freilich weitgehend diffus, und das, was darüber hinaus konkret gemacht wurde, beliebig. So bereits jene Biogasanlage, die das Bühnenbild von Joep van Lieshout abbildete und als "geschlossenes System" fungieren sollte, innerhalb dessen die Triebkräfte des Titelhelden und damit von uns allen sichtbar werden sollten.

Die fabrikartige Halle steht an der Stelle der Wartburg, die hier als Registered Trademark firmiert. Da die Biogasanlage mit ihrem beherrschenden "Alkoholator" laut eingeblendetem Slogan auch "Möglichkeiten zur Triebabfuhr" beinhaltet, brodelt es aber von Beginn an unter der sterilen Hülle.

Im Keller des Systems befindet sich nämlich - in etwa so, wie sich der kleine Maxl das Unterbewusstsein vorstellt - der Ort der fleischlichen Lust, also: Wagners Venusberg, in dem auf dem Grünen Hügel nicht nur Tannhäuser eingangs weilt, sondern auch allerhand rotgefärbte Kreaturen und glitschige Tiere hausen.

Allzu simple Erkenntnisse

Damit sind ein Oben und ein Unten etabliert, die den Abend über - manchmal überraschend, meist vorhersehbar - zueinander in Beziehung gebracht werden. Etwa mit dem Clou, dass sich für das Wettsingen im zweiten Akt die Decke über der unteren Welt ein wenig hebt und die Bühne für die folgenden Darbietungen bildet. Kunst, so lernen wir also, ist nur möglich mit ein bisschen Dionysos, ein wenig sublimierter Lust.

Als ob man von der Simplizität solcher Erkenntnisse ablenken wollte, wurde die Szene noch mit filmischen Zuspielungen - menschliche Anatomie, Mikroben, barbusige Muttergottes - und einer Unzahl von Schlagworten zugemüllt, die unaufhörlich über Videowände flimmerten.

Wer sich davon nicht allzu sehr ablenken ließ, konnte vor allem vom Festspielorchester Bayreuth-Untypisches vernehmen. Freilich hätte Thomas Hengelbrock offenbar mehr Probenzeit benötigt, um seinem an der historisch informierten Aufführungspraxis geschulten Zugang ganz zum Durchbruch zu verhelfen. Doch er machte immerhin deutlich, wie prägnant man durch atmende Phrasierung und eine flexible, elastische Tongebung Wagners orchestrale Gesten verdeutlichen kann. Mit einem homogeneren Gesamtklang hätte dies freilich weitaus befriedigender wirken können.

Uneinheitlich auch die Sängerbesetzung, die wohl kaum im Hinblick auf die Erfordernisse der Produktion engagiert wurde: Lars Cleveman stemmte die Titelpartie zwar mit einiger Kraftanstrengung (und anfänglicher Kurzatmigkeit) respektabel, griff jedoch ebenso zu hilfloser Sängerpantomime wie Camilla Nylund, die als Elisabeth mit einem schönen Piano aufhorchen ließ. Rundweg überzeugten so nur der vielfach abschattierte, wohltönende Wolfram von Michael Nagy und der lebhafte junge Hirt von Katja Stuber.

Wie aber der forsche, mächtige Bass von Günther Groissböck zum nachdenklichen Landgraf passen sollte, blieb unklar, ebenso, wie die herb vibrierende Stephanie Friede eine Venus verkörpern sollte, für die die Regie eine Mutterrolle vorsah. Bei ihr schlug der Unmut des Publikums dann allerdings gar zu hemmungslos zu.

In Bayreuth ist eben auch die Aufregung rasch überdimensional. So bei der Vorfahrt der Prominenz, so bei der Frage, wer den Ring im Jubiläumsjahr 2013 inszeniert. Ob Frank Castorf, mit dem man noch verhandelt, dann für ein Skandälchen gut sein wird? (Daniel Ender aus Bayreuth/DER STANDARD, Printausgabe, 27. 7. 2011)