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Es gibt kein Entkommen: Seit 2007 beschäftigt sich Roland Schimmelpfennig mit dem Stoff des Stücks "Die vier Himmelsrichtungen" . Der Autor und Regisseur verspricht einen Abend wie "ein schwarzer Zirkus".

Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

STANDARD: Der Schauspieler Ulrich Matthes hat die Arbeit mit Ihnen als Kampf um jede Silbe beschrieben. Sehen Sie die Probe auch als Kampf?

Schimmelpfennig: In der ersten Probenphase arbeite ich sehr präzis dran, wie der Text gesprochen wird. Das geht wirklich mit einer gewissen Akribie vonstatten. Die Schauspieler finden diesen Zuchtmeister irgendwann unerträglich, dann fangen sie an, mich zu hassen. Das dient der Sache, denn wenn das Gerüst an Text wirklich da ist, gebe ich ihn in ihre Hände, und sie können sich freispielen.

STANDARD: Mit anderen Worten: Sie werden gern gehasst?

Schimmelpfennig: Ja, warum nicht? Besser man kämpft miteinander. Ein Theater, in dem alle lieb zueinander sind, wird es nicht schaffen, den Finger auf die Wunde zu legen.

STANDARD: Harmonie wäre kontraproduktiv?

Schimmelpfennig: Natürlich muss die Grundbereitschaft da sein, an einem gemeinsamen Strang zu ziehen. Meine Stücke sind schwierig zu spielen, es sind Partituren, die viel Konzentration erfordern. Es wäre ein Phänomen der Provinz, dass man jemanden zum Jagen noch tragen muss. Das hält man nicht aus. Reibung, Dialog, Individualität in der Arbeit finde ich ganz entscheidend.

STANDARD: "Die vier Himmelsrichtungen" , wieder ein Zitat von Matthes, könnte ein Film der Cohen-Brüder sein. Stimmen Sie dem zu?

Schimmelpfennig: Mir wäre Fellini lieber. Doch es stimmt, es hat etwas Filmisches, Cinematographisches, aber auch Circensisches. Der Abend ist wie ein schwarzer Zirkus, ein Zirkus des Todes. Vier verlorene Gestalten stehen im Regen oder im Nebel auf einem Acker - Bilder, die sicher auch an Kino erinnern.

STANDARD: Sie beschäftigen sich in Ihren Stücken oft mit der Zufälligkeit des Zusammentreffens und sich daraus entwickelnden Konstellationen. Hier auch?

Schimmelpfennig: In diesem Stück verknüpft ein Zufall zwei Figuren für immer miteinander: Der eine verliert eine LKW-Ladung in der Kurve, der andere findet die Ladung am Straßenrand im Dreck. Der die Ladung verloren hat, sagt sich: "Ich lass‘ das alles liegen und fang‘ was Neues an." Und der andere will sich mit dem Fund eine neue Existenz aufbauen. Das Tragische ist, dass er glaubt, es könne ihm gelingen.

STANDARD: Fast ein Markenzeichen Ihrer Stücke ist, dass selbst die größte Tragik - auch - lachhaft ist.

Schimmelpfennig: Davon lebt das Theater. An einem bestimmten hysterischen Punkt greifen Lachen und Weinen ineinander. Grotesk und anrührend: Auch dieses Stück, vor allem die Inszenierung, springt zwischen diesen beiden Polen bewusst hin und her.

STANDARD: Ist es für Sie eine Belastung, macht es Druck, meistgespielter deutscher Autor zu sein?

Schimmelpfennig: Nein. Mich würde auch nicht beunruhigen, wenn ich einmal nicht gespielt würde. Es gibt ja auch Moden, denen man unterliegt. Die vielgespielten Dramatiker der 70er- und 80er-Jahre - Franz Xaver Kroetz, Botho Strauß, Peter Handke - werden heute auch weniger aufgeführt als damals. Schlimm für mich wäre, wenn ich nicht mehr schreiben könnte, was es ja auch gibt. Dass der Faden abreißt. Die sicherste Methode, dies zu verhindern, ist vermutlich, immer weiterzuarbeiten. Ich kann das sowieso nicht abstellen. Es kommen ständig Ideen, ich mache unentwegt Notizen.

STANDARD: Sie haben seit 1996 mehr als dreißig Stücke geschrieben. Gehen Ihnen nie die Ideen aus?

Schimmelpfennig: Nein. Die kommen teilweise buchstäblich zur Tür rein. Der Luftballonmann aus den Die vier Himmelsrichtungen: den gibt es! Ich war mit der Familie in Mexiko in einer billigen Kneipe: Der Fernseher läuft, Neonröhrenlicht, es ist heiß - und da kommt der Mann herein in einem selbstgemachten Polyesterkostüm und fängt an, aus den Ballons komplexe Skulpturen zu machen, Spongebob, Comicfiguren. Meine Frau (die Dramatikerin Justine Del Corte, Anm.) und ich gucken uns an und wissen: Irgendwas muss aus dem werden. Also nein. Die Ideen gehen nicht aus. Ich brauche nur eine Sprungfeder, eine Mischung aus Lust und Angst. Aber ich glaube, die guten Ideen entstehen immer aus Angst.

STANDARD: Inwiefern aus Angst?

Schimmelpfennig: Bei den Vier Himmelsrichtungen ist es die Angst vorm Tod, bei Piggy Picket ist es unser Schuldgefühl wegen der Hungersnot in Afrika. Die Ideen kommen weniger aus einer guten Laune.

STANDARD: Wie lange schreiben Sie an einem Stück?

Schimmelpfennig: Die Vorbereitung dauert oft jahrelang, das Schreiben selbst geht dann schnell. Der Stoff für Die vier Himmelsrichtungen hat mich seit 2007/08 beschäftigt. Durch den Tod von Jürgen Gosch kam noch etwas dazu, was mir in der ersten Reflexion nicht so klar war: Das Wissen um den kommenden Tod. Ein Satz, der im Stück immer wieder fällt: "Dann begreift er, dass die Zeit vorbei ist." Gosch hatte ein Jahr von der Diagnose bis zum Tod. Also jeden Morgen steht man auf, guckt in den Spiegel und sagt: "Es gibt ein nahes Ende. Es gibt kein Entkommen." Auch ein Satz in dem Stück: "Und was kommt dann?" Das Balladeske, Moritatenhafte gab's von Anfang an. Aber mir wurde - durch Goschs Tod - klar, dass das Sterben in dem Stück eine andere Tiefe haben muss. Das war der letzte gedankliche Schritt, dann konnte ich es wirklich schreiben.

STANDARD: Gibt es andere Autoren, die Sie gern inszenieren würden?

Schimmelpfennig: Durchaus! Einigen deutschen Klassikern würde ich gern in der Arbeit begegnen, allen voran Kleist, Der zerbrochne Krug. Leider macht das der Intendant in Wien selber. Ist ja nicht so, dass wir nicht drüber gesprochen hätten, er und ich. Aber auch Lessings Minna von Barnhelm würde mich interessieren; beide Stücke sind um Lichtjahre ihrer Zeit voraus.

STANDARD: Wie, glauben Sie, wird das Festspielpublikum auf Ihre Salzburg-Premiere reagieren?

Schimmelpfennig: Ich kann‘s nicht vorhersehen. Der Abend stellt ja die großen Lebens- und Todesfragen und arbeitet gleichzeitig mit circensischen Farben bis hin zu billigen Tricks: die Frau, die sich in Luft auflöst, die menschliche Pyramide. Also, ich bin sehr gespannt. Ich hoffe, man heißt uns freundlich willkommen. (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 30./31. Juli 2011)