Wer steckt da seine Hände durch ein Himmelsloch? Marie Chouinard beobachtet "Les Trous du ciel" durch die fantastischen Mythologien der Inuit-Kultur.

Foto: Nicolas Ruel

Es mag zwar einigermaßen absurd klingen, aber vielleicht ist Nichts nur so darzustellen: Ein Mensch stellt sich die Leere vor und versucht, ein Buch oder eine Bühne mit dieser Vorstellung zu - füllen.

Die aus Ungarn stammende konzeptuelle Choreografin Eszter Salamon hat es bei Impulstanz bereits getan. Ihr Dance for Nothing auf Basis des vom Zen-Buddhismus beeinflussten Komponisten John Cage gab ein Beispiel für die Übersetzung der östlichen Philosophie in westliches Denken. "Nichts ist kein Vergnügen, wenn man irritiert ist, aber plötzlich ist es ein Vergnügen, und dann, mehr und mehr, ist es nicht irritierend", schreibt Cage in seinem berühmten, von Ernst Jandl ins Deutsche übersetzten Vortrag über nichts.

Nun füllt der japanische Butôtänzer Kô Murobushi, dem Zen sozusagen im Blut liegt, die Leere in seine Bühne und ist dabei, mit den Musikern Alain Mahe, Dorothée Munyaneza und Jean-François Pauvros, sehr präsent.

Voran stand seinem Stück Mu(s) - krypt blues, das bei Impulstanz uraufgeführt wird, die Frage des Künstlers, ob es nur eine Form des Nichts gibt, oder ob mehrere davon existieren können. Murobushi verwendet einen Trick: Sobald das Nichts als Leere in einen Zusammenhang gestellt ist, nimmt es Formen an: im ungefüllten Glas etwa, oder als Abwesenheit von Gedanken in der Meditation. Das ist die Irritation, die Cage gemeint hat. So wird Nichts zu etwas: zum Beispiel zu einem Vergnügen. Und damit ist Murobushis Frage natürlich berechtigt.

Wie Salamon sich als Übersetzerin von Cages Übersetzung des Zen betätigt, so tut das die Kanadierin Marie Chouinard mit Bildern der ihr fremden Inuit-Kultur. Les Trous du ciel war ihr erstes Gruppenstück, und sie hat es im Vorjahr zum 20-Jahres-Jubiläum ihrer Company in einer Neuinszenierung mit verdoppelter Besetzung wiederaufgenommen.

Die Tänzer stellen eine Gruppe von Himmelsreisenden dar, die auf dem Firmament und den Sternen ("Himmelslöchern") wandeln. Es ist ein Mythos um eine Wassergöttin, dessen sich Chouinard hier angenommen und den sie in ihre Ästhetik übertragen hat.

So ähnlich verfährt sie auch mit einem Buch des belgischen Dichter-Poeten Henri Michaux im Solo Mouvements von 2005. Dieses hat sie zu dem Gruppenstück Henri Michaux: Mouvements erweitert, das nun bei Impulstanz zur Uraufführung kommt.

Michaux' 64 Seiten schmaler Band Mouvements von 1951 diente Chouinard als choreografische Partitur. Sie "übersetzte" die Tuschezeichnungen des Künstlers in Bewegungsmuster auf der Bühne, das Festgehaltene in einen Ablauf.

In all diesen Arbeiten teilt sich das Vergnügen des Übersetzens dem Publikum direkt mit. (Helmut Ploebst, DER STANDARD - Printausgabe, 2. August 2011)