I-ON: Ivo Dimchev und ein Passstück von Franz West. 

F.: Dimchev

Besessen von Engeln und Passstücken
Ivo Dimchev als großer Performer und unentschlossener bildender Künstler in Wien
Helmut Ploebst Anne Katrin Feßler

Wien - Die Passstücke von Franz West, einem der wichtigsten österreichischen Gegenwartskünstler, machen die Betrachter von bildender Kunst zu Zu- und Begreifenden. Der bulgarische Choreograf und Performer Ivo Dimchev, der bei Impulstanz im Kasino am Schwarzenbergplatz gerade seine Soloarbeit I-ON präsentiert hat (zwei weitere Stücke folgen noch), zeigt darin, was es bringt, wenn ein darstellender Künstler Hand an passende Stücke legt.

West hat, und das ist das Besondere an seiner Zusammenarbeit mit Dimchev, dafür etwas vorbereitet, das so in der seit den 1920er-Jahren bestehenden Geschichte von Kooperationen zwischen Tänzern und bildenden Künstlern noch nicht vorhanden war. Eine Einladung, die Unberührbarkeit des Fetischs Kunstwerk zu überwinden, es an den Körper zu bringen und sich anzueignen, ohne dass es dadurch ins Eigentum der Benutzer übergeht.

Die Berührung eines Kunstwerks durch sein Publikum ist hier also keine Beschädigung, sondern eine Bereicherung. Fast schon ein Tabubruch, dessen Wert Dimchev offenbar genau erkennt, hat er doch bei Impulstanz 2010 während seines Stücks Som Faves spontan ein West-Objekt zertrümmert. "Sorry, Franz", rief er dem im Publikum sitzenden Künstler zu, und der winkte ab: "Okay!" Das war natürlich keine Aufforderung zum Vandalismus an Kunst, sondern gegen das "noli me tangere" der materiellen Wertschöpfungsreligion eines Markts gerichtet, der das Verschwinden von Kunst in Sammlertresoren nach Kräften fördert.

Dimchev arbeitet in einer Kunstform, die keinen Materialwert kennt, weder Devotionalien- noch Reliktehandel treibt und damit fast zur Gänze dem Finanzierungswillen der "öffentlichen Hand" unterliegt. In seinem Solo I-ON lässt er Wests Objekte nun ganz. Dafür schwingt er sie in der Luft, grölt zufrieden, singt sie mit "My Sweet Valentine" an. Er fügt ihnen Blumenstöckchen und eine Coladose hinzu und hat ein bisschen Sex mit ihnen. Als zärtliches Monster liefert Dimchev eine hervorragende Performance ab.

Unentschlossen präsentiert sich Ivo Dimchev hingegen als bildender Künstler. Angels titelt die unausgegorene Präsentation, die dem Choreografen im bulgarischen Kulturinstitut im Wittgenstein-Haus (bis 5. 9.) gewidmet ist.

Geflügelte Wesen findet man allerdings nicht, sondern eher bei Luzifer, dem gefallenen Engel, Angesiedeltes: ein in Klebeband eingewickeltes und mit Farbe übergossenes Füchslein, in Glitzer getauchte Wildvögel, die verdächtig an Jan Fabres Tierwelten erinnern. Auf Leinwand gibt es schnurrhaarige Monster, mit dem Pinselstiel durchwühlte expressive Farbschichten, Zeichnungen, die im Stil der Art brut gehalten sind oder den U-Bahn-Kreidezeichnungen Keith Harings nahestehen.

Ein wildes Stildurcheinander, für das gilt, was Dimchev auf seiner Website dazu notiert hat: "Sometimes, when I don't know what to do, I do that". (Helmut Ploebst, Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 3. 8. 2011)