Beim Gespräch über Globalisierung und Gewalt im Volkstheater präsentierte Christoph Schlingensief die noch in Gründung begriffene "Church of Fear", die Glaubensgemeinschaft der Ängstlichen. Bald auch auf der Biennale in Venedig.

Wien – Für sein Kunstprojekt Atta Atta – die Kunst ist ausgebrochen installierte Christoph Schlingensief eine Nachbildung der Kaaba im Foyer der Berliner Volksbühne.

Im Inneren der Black Box flimmerten vier Monitore von den vier Wänden. Vier Philosophen, deren Weisheiten sich im Ohr des Gläubigen wechselseitig annullierten. Ein sprachreiches Manifest gegen die Monopolisierung einer Interpretation der Welt.

Der Glaube ist tot – es lebe folglich die Church of Fear (CoF). Auf verschlungenen Wegen ging diese von Glaubensskeptiker und Gemeinschaftsphobiker Schlingensief nun ins Leben gerufene Glaubensgemeinschaft "von Leuten, denen der Glaube misslungen ist", aus den Berliner Bühnenaktionen der Attaisten hervor. Noch ist der Katechismus der CoF im Unklaren. Und da Klarheit jede Wahrheit verkürzt und Glaubensbruder Schlingensief der Messias der sinnreichen Verunklarung ist, darf man das auch für die Zukunft erhoffen.

Eine erste Initiation ins Reich der CoF erfuhr, wer wollte, im Rahmen der vom Wiener Volkstheater und dem STANDARD initiierten Reihe Globalisierung und Gewalt.

Sonntagfrüh um elf lud das Gespräch von Christoph Schlingensief und STANDARD-Ressortleiter Claus Philipp zur alternativen Messe. Die gestaltete sich geradezu besinnlich und präsentierte das einfache Mitglied der CoF überraschend ruhig in einem angemessen verunklarten Gespräch, das allenfalls Glaubenssplitter streute, die hier klärend und also verfälschend aneinander gestückelt seien. (Ruhig zeigte sich Schlingensief übrigens nicht zuletzt, um sich außerhalb der "Wiederholbarkeitsanlage" zu postieren, in die die Festwochen ihn zu stecken suchten, die ihm eigene Projekte bis heute mit unterschiedlichen Absagen verwehrten, und ihm stattdessen in geradezu absurder Verkennung seiner Ästhetik vorschlugen, in einem Bus durch Wien Fremdenführer zu spielen und Orte aufzuzeigen, an denen etwa nationalsozialistische Verbrechen begangen worden waren . . .)

"Es ist Zeit, sich offensiv zu ängstigen" lautet die Devise der CoF – in der nicht ein Glaube die Sprache diktiert, sondern die Angst. Die Angst des Einzelnen: "Du hast das Recht auf deine Angst". Die Gemeinschaft der Einzelnen, an die der Schlingensiefsche Aufruf ergeht, auf den "eigenen inneren Atem" zu hören, sich "als atonales Wesen zu fühlen und nicht als Teil eines Chors". Das Recht auf eigene Angst aber schließt das Recht auf eigenen Terror ein: So darf, wer der CoF beitritt, sich notariell mit seinen eigenen geheimen (Terror-)Wünschen registrieren lassen. Um eines Tages per SMS die Anweisung zu erhalten: "Go for it".

Kirche als Unterwanderung der Welt mit Schläfern, die Kreation eines neuen Horrorszenarios? – Oder doch nur eine Illusion aus dem Reich der Behauptung, mit deren Mechanismen Schlingensief seit jeher virtuos spielt?

Besitzer der Angst

Die Entwicklung der Glaubensgemeinschaft der Einzel-Angst-Täter wird sich auf der Internetseite der Kirche verfolgen lassen (siehe Webtipp). Erste konkrete Station der CoF jedenfalls wird die Biennale von Venedig sein, wo Schlingensief als Teil des deutschen Pavillons geladen wurde: Sieben "Terrorgeschädigte" (Anmeldung über die Website) sitzen sieben Tage – von 10. bis 16. Juni – auf Säulen, im wahrsten Sinn des Wortes "Besitzer ihrer Angst". Interessierte können für fünf Euro Heiligenbilder erwerben, um nach dem Motto "Win with your loser" auf den Angst-Sieger zu setzen.

Denn: "Um sich im 21. Jahrhundert behaupten zu können, bedarf es einer kriegerischen Einstellung gegen das scheinbar Friedvolle." Angst? (DER STANDARD, Printausgabe vom 26.5.2003)