Salzburg - Wenn der englische Tenor Ian Bostridge Lieder der Romantik singt, ist der Wahnsinn ganz nah. Robert Schumanns Zyklus Dichterliebe op. 48 auf Gedichte von Heinrich Heine berichtet von der Gratwanderung eines unglücklich Liebenden. Bostridge lässt den "normalen" Liebeskummer eines Verlassenen immer wieder ins Pathologische kippen.

Schon im ersten Lied "Im wunderschönen Monat Mai" ist nichts mehr im Lot. "Da ist in meinem Herzen die Liebe aufgegangen" singt Ian Bostridge und lässt auf dem höchsten Ton die Kantilene brechen. Es gehört zu seinen Stilmitteln, einzelne Worte markant zu betonen, sie mit offenen Vokalen scheinbar ungestützt und ungeschützt hinauszuschreien. Er setzt dieses Stilmittel bewusst ein - es geht durch Mark und Bein.

"Sternelein" oder "Engelein" sind in der Lesart von Ian Bostridge gar nicht lieblich. Himmelskörper, die Trost spenden? Nein, danke. Wenn Bostridge solche Bilder beschwört, stimmlich oft nahe am Sprechgesang, am Rezitativ, dann sind das pure Angstfantasien. Ebenso eindrücklich macht Bostridge aber auch die Versuche des lyrischen Ichs nachvollziehbar, den Schmerz zu bewältigen.

Auf dieser seelischen Achterbahnfahrt begleitet wurde er von der Pianistin Mitsuko Uchida. Sie hat alle Register ihrer differenzierten Anschlagskunst gezogen.

Dann stand Arnold Schönbergs Pierrot lunaire auf dem Programm des Festspiel-Kammerkonzerts im Haus für Mozart. Wenn zuvor die Abgründe der Romantik ausgeleuchtet werden, kommen einem des "Mondlichts bleiche Blüten", ein "nächtig todeskranker Mond" oder "finstre schwarze Riesenfalter" gar nicht mehr seltsam vor.

Zur Pianistin Mitsuko Uchida gesellten sich die Flötistin Marina Piccinini, der Klarinettist Anthony McGill, der Geiger Mark Steinberg und der Cellist Clemens Hagen. Die Schauspielerin Barbara Sukowa hat den Text rezitiert, mit unzähligen Klangfarben in der Sprechstimme, rhythmisch pointiert und auf einen Atem mit der wiegenden klangsinnlichen Musik. Ein wienerischer "Pierrot" war das. Kaum bizarrer oder verstörender als so manches Scherzo bei Gustav Mahler.  (Heidemarie Klabacher / DER STANDARD, Printausgabe, 12.8.2011)