Foto: Staatsoper

Wien - Ein alter Mann steht am Meer, sieht Glück und Ruhm schwinden, nimmt Abschied und besingt seinen sinkenden Stern.

An der Staatsoper stand da am Samstag einer auf der Bühne, den man zumindest früher als älteren Herrn bezeichnet hätte. Biologisch ist Plácido Domingo im Jänner siebzig geworden; es mag sein, dass für ihn eine Oper über das Älterwerden eine besondere Herausforderung darstellt: Immerhin ein Vierteljahrhundert liegt in Simon Boccanegra zwischen dem Prolog und den drei Akten.

Stimmliche Reife und Umsicht haben den Jahrhunderttenor dazu gebracht, sich nun das Bariton-Fach zu erschließen. Er hat zwar immer unglaublich viel gesungen, aber seine Rollen klug gewählt - und er hat, sobald er es sich leisten konnte, auch die Initiative ergriffen. So kam auch die Idee, an der Staatsoper in der Titelrolle dieser Verdi-Oper zu debütieren, vom Sänger selbst (nachdem er den Dogen von Genua bereits in Berlin, Mailand, London und New York gestaltet hatte).

Unter Hochspannung

Da könne man nicht Nein sagen, hatte Direktor Dominique Meyer gemeint - und konnte damit seine zweite Saison mit einer selten glanzvollen Aufführung starten. Ein Opernabend lebt freilich nicht nur vom Vokalen; sein Gelingen steht und fällt auch mit dem Orchester. Mit Vehemenz und Flexibilität, mit Feuer, unerhörter Schärfe und Durchsichtigkeit führte Paolo Carignani das Staatsopernorchester.

Und er erlaubte sich und ihm vollem Klang, doch wusste er diesen so geschickt auszutarieren, dass die Sänger niemals zugedeckt wurden. In der äußerlich unaufgeregten Inszenierung von Peter Stein herrschte durch den und mit dem alles bestimmenden Dogen auch darstellerisch Hochspannung, vor allem in Gestalt des Fiesco: Ferruccio Furlanetto brachte als Simons Gegenspieler Bitterkeit und Schwärze ebenso ein wie versöhnliche Milde.

Wie auch die kleineren Partien mehr als adäquat besetzt, agierte das tragische Liebespaar adäquat intensiv: Massimiliano Pisapia, Einspringer für den plötzlich erkrankten Fabio Sartori, gab den Adorno mit seinem metallischen, charakteristischen Tenor und ausreichend Kraftreserven, Barbara Frittoli die Amelia/Maria mit bebender Eindringlichkeit.

Alle Ohren und Augen waren freilich auf den Star aus Madrid gerichtet, dessen Macht über seine Stimme ist schlicht ein Wunder, ebenso wie seine Bühnenpräsenz: Domingo schuf ein altersloses Psychogramm dieses Alternden - und erschien dann nach Ende der Aufführung geradezu jugendlich: Glück und Ruhm wollten beim Schlussapplaus denn auch gar kein Ende nehmen.  (Daniel Ender / DER STANDARD, Printausgabe, 5. 9. 2011)