Bei der Probenarbeit im Hundsturm: Migrantinnen und Migranten erzählen in "Die Reise" ihre abenteuerlichen Geschichten.

 

Foto: wenn es soweit ist

Arbeiten seit 2009 gemeinsam: Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf.

Jacqueline Kornmüller, 1961 in Garmisch-Partenkirchen geboren, ist Regisseurin. 2009 hat sie die Wiener Theatergruppe "wenn es soweit ist" gegründet - gemeinsam mit Schauspieler Peter Wolf, geboren 1965 in Wien.

Foto: wenn es soweit ist

Premiere ist am Freitag. Margarete Affenzeller traf beide vorab zum Gespräch.

Wien - 30 Menschen aus 20 Nationen, deren Fluchtwege sie nach Österreich geführt haben, erzählen ihre Geschichten. Die 2009 von Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf gegründete Wiener Theatergruppe "wenn es soweit ist" (zuletzt bespielten sie das Kunsthistorische Museum mit "Ganymed Boarding") konnte dafür das Volkstheater als Koproduktionspartner gewinnen. Eine besondere Sache. Am Freitag hat "Die Reise" Premiere. Das folgende Gespräch fand nach einer Probe an der Spielstätte Hundsturm statt, wo alte und junge Menschen aus Ungarn, Argentinien oder Afghanistan seit Wochen nach einer Form für ihre Erzählung suchen.

Standard: Wer hat die Texte geschrieben?

Kornmüller: Das ist der Originaltext, den mir die Personen erzählt haben. Ich habe intuitiv gefragt, was mir zur jeweiligen Person eingefallen ist. Bei manchen war das gleich die Flucht, bei anderen eher der Alltag, etwa bei einem Mann aus Sierra Leone, der seit 13 Jahren in Österreich lebt. Er zeigt sein Tagesprogramm. Sprachlich ist es sehr schön, weil in einer fremden Sprache genauer überlegt werden muss, das heißt, eine Hürde vorhanden ist, die auf der Bühne einen anderen Text erzeugt.

Standard: Wie haben Sie die Personen ausgewählt?

Kornmüller: Ich habe mit 260 Menschen gesprochen und davon 30 ausgewählt. Diese hatten bereits in den Gesprächen eine gewisse Dichte entwickelt.

Standard: Alle Darsteller strahlen bei der Probe etwas Positives aus ...

Kornmüller: Ich finde es wichtig, dass dieses Projekt niemanden vor den Kopf stößt. Es geht sogar den gegenteiligen Weg. Wir fordern das Publikum auf, für unsere Darsteller eine gewisse Empathie zu haben. Es gibt schon sehr harte Texte an diesem Abend. Wir möchten, dass sich das Publikum durch diese Geschichten gedanklich bewegt, wohin es auch will. Es kann ja auch Zuschauer geben, die sagen: Mir sind aber zu viele Türken in Wien.

Standard: Ist "Reise" für Flucht nicht ein provokanter Begriff?

Kornmüller: Ja, das ist Absicht. Das sind enorme Überlebenskünstler, die schwierige Wege hinter sich haben, von der Sahara, übers Meer, aus Afghanistan.

Standard: Die Aufgeschlossenheit in Einzelbegegnungen steht ja in keinem Verhältnis zur Angst vor einer unbekannten Masse.

Kornmüller: Das ist wahr. Wir denken immer, der "Heuschreckenschwarm" fällt über uns her und frisst uns leer. Dabei sind wir es, die etwa den afrikanischen Kontinent melken, wir holen Erdgas, Juwelen, Diamanten aus Afrika. So ein Abend muss dieses Bild korrigieren.

Standard: Wie passend ist der Begriff "Migrant"? Viele sind das ja schon lange Jahre nicht mehr.

Kornmüller: Stimmt, die Wortwahl ist auch distanzierend, aber wir haben leider noch keinen besseren Begriff gefunden. Er rückt Menschen von uns weg.

Wolf: Die Diskussion wird sich wohl erst ändern, wenn man begreift, dass man eigentlich in der gleichen Situation ist. Und das ist etwas, das Theater kann: Wenn jemand auf der Bühne eine Geschichte erzählt, dann versetze ich mich in seine/ihre Lage. Ich identifiziere mich damit. Und wenn das passiert, dann bringe ich Verständnis auf.

Standard: Wir kennen ja nur Fernsehbilder aus Lampedusa. Sind die Erzählungen für Sie auch wichtige Informationen aus erster Hand? Also auch Aufklärung?

Kornmüller: Ja, dieser Ansatz ist uns wichtig. Wir haben jemanden dabei, der diesen Weg hinter sich hat. Ein Mann aus Mogadischu, der mit seiner achtköpfigen Familie hier unter sehr schwierigen Bedingungen lebt.

Wolf: Es geht so: Der Schlepper kauft ein Boot für 700 Euro, jeder der 120 Passagiere zahlt 2000 Euro, das sind 240.000 Euro für den Schlepper, den man sich aber nicht als Kriminellen vorzustellen hat, sondern als General, als honorigen Militär. Auf dem Schiff ist einer mit einer Karte, es gibt nicht einmal einen Kompass.

Kornmüller: Und es ist klar, dass von drei Schiffen nur eines in Europa ankommt. Dieses Risiko gehen sie ein, auch mit Kindern. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.9.2011)