Daniel Kehlmann arbeitet bereits an einem zweiten Stück - für das Wiener Josefstadt-Theater.

Foto: Heribert Corn

Graz - Die samstägige Uraufführung von Daniel Kehlmanns "echtem" Bühnenerstling findet am Grazer Schauspielhaus statt, Regie führt Intendantin Anna Badora: Der geniale Logiker Kurt Gödel (Johannes Silberschneider) wohnt seinem eigenen Begräbnis bei. Die Gesetze der Zeitenfolge kollabieren: Gödel, der sich von Gespenstern verfolgt glaubt, emigriert als irrwitzig begabter Sonderling in die USA, wo sein bizarres Wesen selbst den prominenten Kollegen Albert Einstein bass erstaunen lässt. Ein biografisches Vexierspiel über mathematische "Unvollständigkeitssätze" und die Relativität des Alltagslebens.

Standard: In "Geister in Princeton" haben Sie den Mathematiker Kurt Gödel zur Hauptfigur eines fünfaktigen Dramas gemacht. Ihr Stück ist verblüffend "demokratisch": Der tote Gödel genießt genauso ein Bleiberecht auf der Bühne wie der Knabe Gödel. Darf man hinter dieser Idee die Keimzelle zum Stück vermuten?

Kehlmann: Eine von zwei Keimzellen. Die andere waren die Gespenster - der Umstand, dass einer der schärfsten Denker aller Zeiten an die Existenz von Geistern glaubte und mit ihnen sprach und an seiner Angst letztlich starb - ganz buchstäblich, er hörte auf zu essen, weil er meinte, er werde vergiftet. Zugleich glaubte er, dass Zeit eine Illusion ist, dass also alles Zukünftige und Vergangene letztlich nebeneinander besteht. Beides zusammen, dachte ich, ist doch eine perfekte Vorlage für ein Stück. Nun hatte ich ja schon einen Roman über historische Wissenschaftler geschrieben - aber ich dachte, im Wechsel der Gattung darf ich es vielleicht doch noch ein einziges Mal tun. Denn ich hätte keinen Roman über Gödel schreiben können, ich wusste gleich, das muss ein Stück sein.

Standard: "Geister in Princeton" handelt von der Paranoia eines letztlich unrettbar klugen Menschen. Es gibt Szenen, etwa diejenigen mit Blick auf Moritz Schlick, Otto Neurath und die Philosophen des Wiener Kreises, die den Atem eines Gelehrtendramas haben. Ohne gleich von Vorbildern zu sprechen: Sind Texte wie Arthur Schnitzlers "Professor Bernhardi" dafür von Belang gewesen?

Kehlmann: Das ist völlig richtig. Ich mag Professor Bernhardi sehr, und ich habe bei den Szenen um den Wiener Kreis auch immer wieder daran als an ein - natürlich unerreichbares - Vorbild gedacht. Die Aufführung im Theater in der Josefstadt 1988 mit Michael Degen war eines meiner großen frühen Theatererlebnisse. Neulich habe ich mir die DVD gekauft, um zu sehen, ob sie denn wirklich so gut war, wie ich sie in Erinnerung hatte. Sie war es.

Standard: Ihre Salzburger Auftaktrede 2009 gegen das Regietheater hat zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung großes Aufsehen erregt und auch geharnischten Widerspruch provoziert. Das vielfach Bedenkenswerte Ihrer Ausführungen rekapitulierend: Hat Sie vorab nicht die Furcht vor falschem Beifall beschlichen? Gibt es nicht einen "Werktreue"-Begriff, der synonym ist mit Gedankenarmut und reaktionärer Besitzstandswahrung?

Kehlmann: Aber ist das nicht ein Totschlagargument? Gedankenarmut gibt es immer, aber sollte dieser Umstand wirklich die ästhetische Diskussion verbieten? Das wäre ja, als ob man den realistischen Roman auf Konsalik und Tom Clancy reduziert oder tonale Musik auf die Zillertaler Schürzenjäger. "Werktreue" ist außerdem nicht einfach eine ästhetische Option unter vielen - es ist die Art und Weise, wie weltweit Theater gemacht wird; im ernsthaften Versuch, ein Stück der Intention seines Autors gemäß auf die Bühne zu bringen, nur im deutschen Sprachraum hat sich das anders entwickelt. Vor ein paar Wochen schrieb der Musikkritiker Alex Ross für den New Yorker über die Aufführungen in Bayreuth, wunderte sich darüber, dass alle Wagner-Opern dort in Ölraffinerien oder unter Laborratten spielten und sprach von der "insulären und in sich eingeschlossenen Kultur" des deutschen Theaters. Hätte er das nicht schreiben sollen, nur weil sich Besucher der Pradler Ritterspiele bestätigt fühlen könnten?

Standard: Inwieweit hat Theater in Ihrer Sozialisation eine herausgehobene Rolle gespielt - mit Blick auf Ihren Vater gefragt, den bedeutenden Regisseur Michael Kehlmann?

Kehlmann: Durch meinen Vater habe ich mitbekommen, wie viel Freude Theater in seinen besten Momenten machen kann. Es führt dann zu einer intensiveren Erfahrung als irgendeine andere Form der Literatur. Das hatte ich dann fast wieder vergessen. Aber viele Jahre später habe ich das Theater auf dem Weg über den englischsprachigen Raum wiederentdeckt. Ich hatte das Glück, in London und New York Aufführungen von Tom Stoppard, Michael Frayn, Tony Kushner oder auch jungen Dramatikern wie Jez Butterworth zu sehen, die mich mit einer Begeisterung erfüllt haben, wie ich sie auf deutschsprachigen Bühnen einfach nicht mehr erlebt habe. Das hat mich dazu gebracht, mich auch produktiv wieder mit dem Theater zu beschäftigen. Wenn mir also nun jemand sagt, dass mein Stück in Form und Struktur angelsächsisch wirkt, kann ich nur sagen: Ja, das hoffe ich.

Standard: Ist Ihr Gödel-Stück ein regelrechter Anfang? Haben Sie als Dramatiker Blut geleckt?

Kehlmann: Aber ja. Ich habe ein zweites Stück, ein Auftragswerk des Theaters in der Josefstadt, fast fertig. Über ein drittes denke ich nach. Und dann sehen wir mal. Das schönste an einem großen Bestseller ist, dass er einem Freiheit gibt und die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe 20. September 2011)