Matznetter: " Letztlich sind die niedrigen Frauenquoten in Führungspositionen ein Zeichen von Fehlauswahl. Menschen, die diese Fehlauswahl nach einem Körperteil treffen, brauchen Hilfe, um die richtige Entscheidung treffen zu können."

Niss: "Die Akzeptanz von geförderten Frauen in Männerdomänen ist viel höher, wenn sie nicht als Quotenfrauen etikettiert werden."

Foto: dieStandard.at/Lechner

Niss: "Ich möchte nicht als Quotenfrau gesehen werden. Das habe ich als diskriminierend erlebt."

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Matznetter: "Die Arbeit in Frauenbranchen wird niedriger bewertet als jene in Männerbranchen. Das ist in meinen Augen eine Fehlverpreisung von Qualifikation."

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Matznetter: "Quoten gibt es doch überall! Auch der männliche Aufsichtsrat, der für einen bestimmten Aktionär da drinnen sitzt, ist ein Quotenmann dieses Aktionärs."

Niss: "Aber er hat ihn selbst ausgesucht!"

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In Österreich gibt es immer noch 12 Prozent an unerklärlichen Gehaltsunterschieden zwischen den Geschlechtern. Nach Brutto-Jahreseinkommen berechnet, liegen die Frauen sogar um 24 Prozent hinter den Männern. Auf die Frage, wie die Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt zu beseitigen ist, haben SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter (52) und Junge-Industrie-Vorsitzende Therese Niss (34) sehr unterschiedliche Rezepte parat, wie das dieStandard.at-Streitgespräch anlässlich des heutigen Equal Pay Days zeigt:

dieStandard.at: Frau Niss, Sie arbeiten als geschäftsführende Gesellschafterin bei High Tech Coatings Österreich. Können Sie sicher sein, dass es in Ihrem Unternehmen zu keiner Lohndiskriminierung kommt?

Therese Niss: Bei uns gibt es sicher keine Lohnunterschiede, die nicht erklärbar sind. Es gibt aber sicher Lohndifferenzen, weil wir viele Frauen haben, die Teilzeit arbeiten. Unser Unternehmen ist außerdem in der Hochtechnologie angesiedelt, weshalb wir auch mehr Männer als Frauen an Bord haben. Jedenfalls suchen wir händeringend nach Frauen, die qualifiziert sind für Führungspositionen.

dieStandard.at: Wie hoch ist der Frauenanteil in Ihrem Unternehmen?

Niss: In Führungspositionen liegt er bei 14 Prozent, das ist immerhin über dem österreichischen Schnitt.

dieStandard.at: Da liegt ja noch viel Arbeit vor den Unternehmen.

Chrstoph Matznetter: Letztlich sind die niedrigen Frauenquoten in Führungspositionen ein Zeichen von Fehlauswahl. Statistisch betrachtet verteilt sich Können und Nicht-Können nach einer Gaußschen Normalverteilung ja auf alle Bevölkerungsteile gleichmäßig. Rein statistisch betrachtet müsste es also gleich viele tüchtige Frauen wie Männer geben. Für die österreichische Führungsebene, wo der Frauenanteil meist unter 10 Prozent liegt, heißt das, dass hier irrsinnig oft Fehlauswahlen getroffen werden. Menschen, denen solche Entscheidungen obliegen, muss man also helfen, die richtige Auswahl zu treffen.

Niss: In unserer Branche haben wir leider oft das Problem, dass keine Frau zur Auswahl steht. Hier geht es darum, Frauen zu animieren, in diese Bereiche überhaupt erst zu gehen.

Matznetter: Ein Mensch, der aufgrund seines Geschlechts, seiner Hautfarbe oder was auch immer diskriminiert wird, wird sich nicht dort melden, wo er nicht gesehen wird. Was hier passiert, ist dann selbsterfüllende Prophezeihung: Das Jobinserat wird überblättert, weil es ja eh für Männer reserviert ist. Motivation ist also wichtig, da stimme ich ihnen zu, aber es muss auch eingegriffen werden. Beim Problem der rassistischen Türsteher haben wir ja auch reagiert und die Gewerbeordnung verändert.

dieStandard.at: Und die Lösung heißt Quoten?

Matznetter: Es ist nie einfach, jemandem vorzuschreiben, wie etwas sein muss, aber wir haben uns in der Gesellschaft schon oft genug dafür entschieden. Die Frage ist: Wann setzt man so etwas ein und: Ist es gerechtfertigt? Nehmen wir nur das Beispiel Südtirol-Paket: Ohne Quoten wäre dort die gesamte höhere Verwaltung italienisch. Österreich hat sich hier positiv durchgesetzt und eine Österreicher-Quote gefordert – und gut war's.

dieStandard.at: Laut einer Umfrage des deutschen Familienministeriums ist selbst die Bevölkerung mehrheitlich für die Einführung von Frauenquoten. Wenn es also einerseits so gut funktioniert und es sogar schon den gesellschaftlichen Auftrag dazu gibt, warum unternimmt die Politik dann so wenig? Die jetzige Regelung bei den Aufsichtsräten ist doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ...

Matznetter: Es ist ein Kompromiss, den die Frauenministerin mit der Wirtschaftskammer und anderen Partnern erreicht hat. Wir sind leider nicht so weit wie in Skandinavien, sondern in Österreich, wo es ohne gesetzliche Quote – ein Drittel- unmöglich wäre, ArbeitnehmerInnen in die Aufsichtsräte zu bekommen, obwohl die Vorstände und Großaktionäre im Prinzip dafür sind.

Niss: Ich habe eine andere Studie, wo rauskommt, dass sich nur 18 Prozent der ÖsterreicherInnen für eine Quote aussprechen. Es gibt sehr unterschiedliche Studienergebnisse zu dieser Frage.
Man soll den Privatunternehmen nicht vorschreiben, was sie zu tun haben. Das ist ein Eingriff in ihre Handlungsmacht, wie sie ihr Unternehmen erfolgreich führen wollen.

Ich wurde vereinzelt auch spaßhaft als Quotenfrau der Jungen Industriellen bezeichnet, und das habe ich als diskriminierend erlebt. Ich möchte nicht als Quotenfrau gesehen werden.

dieStandard.at: Für Sie ist das eine Beleidigung?

Niss: Genau. Ich bin qualifiziert genug, diese Position einzunehmen, deshalb wurde ich auch gewählt.
In unserem Unternehmen haben wir uns auch bewusst gegen ein spezielles Frauenförderprogramm entschieden, weil wir, ähnlich wie bei der Quote, auch hier nicht wollen, dass Frauen damit runtergemacht werden. Im Sinne von: ‚Ihr braucht euer eigenes, spezielles Ausbildungsprogramm‘. Wir versuchen, Frauen besonders gut zu integrieren, sie in Management- und Weiterbildungsprogramme einzubinden und unser Betriebsklima spricht dafür, dass Frauen gern bei uns arbeiten.

Matznetter: Aber Quoten gibt es doch überall! Bei einer Aktiengesellschaft ergeht die Entscheidung, wer im Aufsichtsrat sitzt, nach dem Mehrheitsverhältnis in der Hauptversammlung. Auch der männliche Aufsichtsrat, der für einen bestimmten Aktionär da drinnen sitzt, ist ein Quotenmann dieses Aktionärs.

Niss: Aber er hat ihn selbst ausgesucht!

Matznetter: Die Privatautonomie der Unternehmen wird in so vielen Bereichen eingeschränkt, weil sonst falsch gehandelt wird. Unternehmen kriegen Dutzende Vorschriften, etwa über den Grad der Emissionen, über die Spintgröße, usw. Wenn wir übereinkommen, dass für eine gute Personalauswahl statistisch am Ende 50:50 herauskommen würde, dann stellen wir fest, dass hier eine Fehlauswahl stattfindet. Und Menschen, die diese Fehlauswahl nach einem Körperteil treffen, brauchen Hilfe, um die richtige Entscheidung treffen zu können.

Niss: Das sehe ich ganz anders. Zum einen gibt es zu wenige qualifizierte Frauen in gewissen Branchen. Das zweite ist: MitarbeiterInnen werden von Unternehmen für gewöhnlich als ihr größtes Kapital betrachtet, und gerade hier wollen sie sich keine Vorschriften machen lassen. Und dann ist noch die Frage, wie Quotenfrauen im Unternehmen aufgenommen werden. Die Akzeptanz von geförderten Frauen in Männerdomänen ist viel höher, wenn sie nicht als Quotenfrauen etikettiert werden.

dieStandard.at: Welche Formen der Frauenförderung in Unternehmen funktionieren dann?

Niss: Als erstes bestimmt die Vorbildwirkung. Wenn es schon ein paar Frauen im Unternehmen gibt, fühlen sich Frauen sicher bestärkt, ihren Weg zu gehen. Es geht aber auch um die Rahmenbedingungen, und hier ist die Politik gefordert, siehe Ausbau der Kinderbetreuung.

Matznetter: Bei den Aufsichtsräten spießt es sich allerdings nicht an der fehlenden Kinderbetreuung, weil die treffen sich ja maximal zehnmal im Jahr.

Niss: Die Diskussion um die Aufsichtsräte wird ja total überbewertet. Viel wichtiger wäre doch, den Frauenanteil in Führungspositionen und auch in der zweiten und dritten Ebene zu stärken. Die Unternehmen sind sich ihrer Aufgaben sehr wohl bewusst, aber eine gesetzliche Maßnahme lehnen wir ab.

dieStandard.at: Was ist mit dem Konzept der "Teilzeit-Karrieren"? Warum müssen Menschen mit verantwortungsvollen Jobs immer mindestens Vollzeit arbeiten?

Niss: Ich glaube das geht, aber es kommt darauf an, ob die Person vorher schon Vollzeit gearbeitet hat und das Unternehmen auch tatsächlich kennt. Relevant ist auch die Dauer der Teilzeit und in welchem Bereich des Unternehmens sie arbeitet. Wenn ich etwa im Vertrieb bin und immer reisen muss, aber nur von acht bis zwölf Zeit habe, wird das ein Problem sein.

Matznetter: Da stimme ich zu – gerade in verantwortungsvollen Bereichen wird es extrem schwierig sein, die nur in Teilzeit auszuüben.

Niss: Unternehmen überlegen sich gemeinsam mit der schwangeren Mitarbeiterin, wie und wann sie nach der Geburt wieder arbeiten will und wie man es ihr erleichtert. Natürlich muss der Plan auch für den Arbeitnehmer irgendwie Sinn machen. Je bessere Betriebskindergärten und je mehr Kleinstkinderbetreuung es gibt, umso einfacher ist es.

dieStandard.at: Kommen wir zur normalen Arbeitnehmerin und ihrem Problem der mangelnden "Lohntransparenz": Welchen Sinn sehen Sie darin, dass ArbeitnehmerInnen nicht öffentlich über die Ergebnisse der betrieblichen Einkommensberichte sprechen dürfen, da sonst eine Klage droht?

Matznetter: Das ist ein Missverständnis: Über diese konkrete Auswertung im Betrieb müssen die Aufsichtsratsmitglieder informiert werden, die Daten dürfen aber nicht öffentlich publiziert werden. Individuell, zum Beispiel für ihre Lohnverhandlung, kann jede Mitarbeiterin die Daten verwenden. Der Betriebsrat kann sie auch für Kollektivverhandlungen verwenden. Ein gewisser Geheimschutz der allgemeinen Situation im Betrieb soll aber aus Gründen der Konkurrenz gegeben sein, das war die Rechtfertigung der Wirtschaft. Ich bin überzeugt, dass der Transparenzbericht eine gute Maßnahme ist, weil er die Verantwortlichen zwingt, darüber nachzudenken, warum die Situation bei ihnen in der Branche so ist, wie sie ist.

Niss: Ich sehe das etwas differenzierter. Viele Betriebe machen diese Analysen sowieso intern und haben sie auch schon gemacht, bevor sie dazu gezwungen wurden. Die Ergebnisse werden meines Wissens nach auch nur an den Zentralbetriebsrat kommuniziert und nicht im Unternehmen ausgehängt. Davor würde ich auch warnen, weil man die Kollektivvertragsgruppen und den Verdienst darin nicht vergleichen kann. Die jeweiligen MitarbeiterInnen leisten andere Arbeit, haben andere Arbeitszeiten, andere Erfahrungen.

Matznetter: Mich erstaunt ihre Stellungnahme: In den USA gibt es am Eingang jedes Unternehmens eine Liste, wo sie nachschauen können, von der Putzfrau bis zum CEO, wie viel die verdient haben. Das ist ein katholisches Problem, dass über Gehälter nicht geredet wird – in anderen Ländern ist das kein Problem. In Schweden zum Beispiel erhalten Sie jedes Jahr einen Gehaltsspiegel, wo steht, wer was im Land verdient. Diese Transparenz ist eine Riesenchance.

Niss: Dann sollten wir aber auch schnellstmöglich die Transparenzdatenbank einführen, oder?

Matznetter: Damit hätte ich überhaupt kein Problem – ich traue der Frau Finanzministerin zu, dass sie das Problem der Bundesländer, an denen es noch hängt, lösen wird.

dieStandard.at: Ein wesentlicher Faktor für die Gehaltsunterschiede sind die unterschiedlichen Branchen, in denen Männer und Frauen arbeiten. Sind die Unterschiede gerechtfertigt?

Matznetter: Die Arbeit in Frauenbranchen wird niedriger bewertet als jene in Männerbranchen. Das ist in meinen Augen eine Fehlverpreisung von Qualifikation. Warum bekommt ein Techniker, der einen Drucker repariert, einen weit höheren Stundenlohn als z.B. eine Frisörin, eine Pflegekraft oder eine Kinderbetreuerin? Kein Mensch käme auf die Idee, für zwei Stunden beim Frisör 280 Euro inklusive Mehrwertsteuer zu zahlen.

Ein weiterer Punkt sind die Kollektivverträge. Klassisches Beispiel ist der Bäckerkollektivvertrag: Ich habe den Helfer in der Backstube, großteils Männer, und die Ladnerin, die vorne die Backwaren verkauft, großteils Frauen. Beide sind gleich qualifiziert, aber im Kollektivvertrag gibt es einen Riesenunterschied. Das muss man sich bei den KV-Runden anschauen – so erhoffen wir uns, dass wir die Schere zusammenbringen.

Niss: Ich bin auch dafür, dass wir eine Gleichstellung erreichen, aber wir sollen keine Gleichmacherei erzielen. Wir sollten dabei ansetzen, die Rahmenbedingungen wie Kinderbetreuungszeiten zu ändern.

Matznetter: Aber zu sagen, dass die Arbeit eines Technikers eine qualifiziertere ist als jene einer Kinderbetreuerin, dafür habe ich null Verständnis. Die Ausbildungen sind mindestens genauso intensiv. Da stimmen die Wertmaßstäbe einfach nicht: Dort, wo überwiegend Frauen tätig sind, wird die Arbeit geringer bewertet als dort, wo überwiegend Männer arbeiten.

Niss: Es stimmt schon, dass in der Industrie höhere Löhne und Gehälter gezahlt werden. Aber das ist, wie in vielen Bereichen, eine Frage von Angebot und Nachfrage.

dieStandard.at: Ein zentrales Problem bei den Gehaltsunterschieden ist offenbar die Bewertung von Arbeit. Hier ist die Politik gefragt, einen Wandel zu schaffen. Aber was macht sie dafür konkret?

Matznetter: Bis vor etwa 15 Jahren war es selbstverständlich, dass ausschließlich Frauen für die Pflege und Betreuung von Angehörigen verantwortlich waren. Das war zum Teil die Begründung für das frühere Pensionsalter, weil sie ja danach pflegen müssen. Mitte der Neunziger Jahre wurde das Bundespflegegeld eingeführt, dass es Menschen ermöglichte, selbst Pflegeleistungen zu kaufen. Zehn Jahre später gab es aber noch immer massivste Probleme bei intensiven Pflegefällen. Wir haben uns zu lange darauf verlassen, dass das eh die Frauen durch unsichtbare Arbeit in der Gesellschaft leisten. Eine Kurskorrektur geht nicht von einem Jahrzehnt auf das andere, aber wir haben schon große Fortschritte in diesem Bereich gemacht.

Keine Frage aber, dass auch die neuen Maßnahmen zulasten der Lohnstruktur der Frauen gehen: Für 1000 Euro 300 Stunden in 14 Tagen durcharbeiten, wie es derzeit die Pflegerinnen aus der Slowakei und Polen machen, das ist auch eine Form der Ausbeutung, die sich nur im Lohngefälle der Länder rechnet. Teile des Sozialsystems darauf aufzubauen, halte ich für falsch – auch da müssen wir schauen, zu ordnungsgemäßen Löhnen zu kommen.

Niss: Man muss schauen, dass auch diese Berufssparten durch höhere Qualifikation und höhere Löhne aufgewertet werden, wie es in den skandinavischen Ländern schon üblich ist. Dann werden auch mehr Männer diese Berufe wählen. (Ina Freudenschuß, Isabella Lechner/dieStandard.at, 4.10.2011)