Tänzerin Sylvie Guillem saugt in "Push" den Raum um sich herum förmlich an.

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Ein Duett jenseits von Welt.

St. Pölten - Im 19. Jahrhundert wurden Ballerinen wie Fanny Elßler, Marie Taglioni und Anna Pawlowa wie Popstars gefeiert. Das ist heute selten geworden. Sylvie Guillem, die gerade mit ihrem Tänzerkollegen Russell Maliphant im Festspielhaus St. Pölten gastiert hat und dort im kommenden Mai wieder zu sehen sein wird, ist zweifellos ein Star. Auf Pop legt sie es allerdings nicht an.

Auf dieser Ebene hat in den USA bereits die "Punkballerina" Karole Armitage experimentiert, die vor sieben Jahren ebenfalls in St. Pölten zu Gast war. Die heute 57-Jährige hatte in den Roaring Eighties deutlich gemacht, wie sich Balletttanz zu Punkmusik anfühlt. In dieser Zeit wurde Sylvie Guillem in Paris unter Rudolf Nurejew zum Étoile du Ballet de l'Opéra, das sie 1988 verließ, um selbstständig Karriere zu starten.

Der gebürtige Kanadier Russell Maliphant, der 1997 beim Festival Tanzsprache noch im Wiener Wuk aufgetreten ist, ist als Choreograf schon seit acht Jahren einer der Wunschpartner von Guillem. Und wer die beiden nun in ihrem vierteiligen Abend Push gesehen hat, versteht auch, warum. Maliphant weiß, wie man einen Körper zelebriert, ohne ihn als Fetisch zu verhökern.

Push ist ein auffällig ruhiger, schöner Abend. Guillem, die weltweit bewunderte Virtuosin, verspreizt sich nie in akrobatischen Beweisen dafür, dass sie es auch mit 46 noch draufhat. Im Gegenteil. Ihr Auftritt hat bei aller Konzentration noch einen Hauch von Beiläufigkeit. Und ihre bis ins Letzte ausgefeilten Bewegungsabläufe sind von einer Qualität, die im Tanz nur sichtbar wird, wenn sich die Figur auf der Bühne eben nicht bis zum Letzten anstrengt.

Diese Tänzerin ist überhaupt nicht eitel. Das vermittelt sich in ihrem gesamten Auftritt. Wie sie barfuß aus der Ballettsprache jene präzisen Körpertexte rezitiert, die Maliphant ihr in den Stücken Solo und Two auf den Leib choreografiert hat. Wie schlüssig und fließend sie ihre langen Arme und Beine so ins Spiel bringt, dass sie den Raum um sich herum geradezu ansaugen. Maliphant selbst, der im November 50 wird, zeigt sich in seinem Solo Shift als beherrschter Tänzer, dessen Körper sich ebenfalls nicht zu einer imponieren sollenden Oberfläche verschließt, sondern stets durchlässig bleibt.

Ausleuchtung der Tiefe

In dem Duett Push schließlich geben die beiden vor, was ein Duett im Ballett heute sein kann. Dass Komplexität in der Bewegung nicht zum Krampf führen muss, wenn die Tänzer wissen, dass sie können, was sie tun. So kommt hier ein bestechend poetischer Austausch zustande, in dem es wie in einem guten Gespräch um Tiefenausleuchtung des Miteinanders geht - ohne Psychologisierung und Erzählhaltung. Das ist also wunderbar. Aber auch das Problem des Abends, der letztlich doch etwas zu leer bleibt, weil an ihm alles abperlt, was die Welt heute bewegt.   (Helmut Ploebst/ DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2011)