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Nur kurze Momente des Opernglücks: Alfredo (Charles Castronovo) und seine Violetta (Natalie Dessay).

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Wien - Als am Ende auf Regisseur Jean-François Sivadier der Unmut akustisch herabsauste, wollte man in ihm auch einen gewissen Anteil an dem - das Publikum quälenden - Phantomschmerz entdecken. Er wäre verständlich: Nach Jahrzehnten des Zusammenlebens mit der opulenten, in der Stilistik von Otto Schenk gehaltenen Traviata bedeutet der Wechsel zu dieser (immerhin noch sommerfrisch aus Aix-en-Provence anreisenden) Variante womöglich eine gewisse Herausforderung.

Obwohl hier alles andere als tollkühnes Deutungstheater wütet, ist der Kontrast zu Schenk angesichts einer gewissen "Entschlackung" vorhanden, und er kommt einer kleinen Augendiät gleich: Vor einer düsteren Mauer arbeitet sich hier nämlich eine Theatertruppe an der bekannt traurigen Geschichte eines großherzigen, leichten Mädchens ab.

Das arme Theater

Da lebt kein romantisches Illusionstheater auf; da wird kein soziales Hierarchiegefälle sichtbar. Die Bühnenaskese (Bühnenbild: Alexandre de Dardel) wird nur durch zierliche Luster und kleine Bühnenprospekte (mit Natur oder Himmel drauf) aufgelockert. Ein Theater mit einem kleinen Budget muss das hier sein.

Nur wenn es in den Backstage-Bereich geht (der hier an der Rampe liegt), zieht sich hinter der erschöpften Violetta, die hier wohl eine todeskranke Sängerin ist, ein glänzend-blauer Vorhang zu. Das immerhin schafft dann Atmosphäre und Intimität.

Besonders hier sieht man: Es bedarf für theatrale Momente von hoher Dichte keiner Ausstattungsprahlerei. Es reicht vollkommen, eine Darstellerin vom subtilen Format einer Natalie Dessay an seiner Regieseite zu haben. Sie ist das Zentrum dieser von der Staatsoper importierten Produktion, sie macht Violettas verzweifelte Feiergesten ebenso deutlich wie die finale, in Todesnähe sich aufbäumende letzte Hoffnung. Allerdings ist Dessays Stimme weit davon entfernt, als ideal für diese Partie gelten zu können - und das schafft gewisse Probleme.

Alle Höhenaspekte der Partie, samt den sich in Koloraturen ausdrückenden Gefühlsbebungen, erlangen zwar kraftvoll Klang und Präsenz. Und natürlich ist das Fahle und Dünne ihrer Stimme (im mittleren Bereich) punktuell im Sinne einer authentischen Umsetzung von Fragilität sinnvoll in Einsatz zu bringen. Bedenkt man jedoch, dass Dessay in den Tiefen unscheinbar bis zur Unhörbarkeit wirkte, überwiegt letztlich die Verwunderung über diese Besetzungsidee. Es bleibt bei einer nur theatralen Großleistung, die alle Opernroutine beiseitelässt.

Eine starre Umwelt

Um Dessay herum - und das raubt letztlich dieser soliden, gar nicht so kühnen "Theater-im-Theater"-Regieidee die szenische Kraft - darstellerisches Mittelmaß. So ist Charles Castronovo ein sich langsam in tadellose Form singender, ziemlich klischeehafter Alfredo im weißen Anzug. Und Fabio Capitanucci ist ein ausgewogen tönender Vater Germont, der seinem "Sohn" an darstellerischer Tristesse um nichts nachsteht. Zudem: Auch jene Szenen, in denen der Chor aus seiner Gelassenheit heraustreten darf, wirken beiläufig inszeniert, wie auch die unterschiedlichen Ebenen der Produktion nicht klar genug voneinander abgegrenzt werden.

Ein bisschen viel Kühle

Beim instrumentalen Part wird immerhin ein Konzept bewusst und dynamisch umgesetzt: Dirigent Bertrand de Billy raubt dem Klang der Philharmoniker lange jegliche Süffigkeit; schon zu Beginn ergibt das einen eisig-gläsernen Sound, der aber auf die grausamen Aspekte der Geschichte bezogen werden kann. Das alles, samt der bisweilen bissigen Akzente, ist zu respektieren. Es negiert jedoch über weite Strecken die sinnlichen Aspekte der Partitur. Erst ab dem Finale ist da jedenfalls auch so etwas wie poetische Geschmeidigkeit und musikalische Wärme zu spüren. Etwas mehr davon - statt der die Bühnengeschehnisse mitunter bedrängenden Lautstärken - hätte gutgetan.

In die erst durch die Ankunft des Regisseurs deutlich abebbende Begeisterung mixten sich übrigens Einzelbuhs für Dessay und de Billy. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD/Printausgabe 11. Oktober 2011)