Die Schule am Schöpfwerk. Bald wird sie umzäunt sein.

Foto: Winkler-Hermaden/derStandard.at

Anrainer protestieren.

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Der Bagger ist schon am Werk.

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In der Zwischenzeit wurden provisorische Gitter aufgestellt.

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Maria Wildam fürchtet sich in der Siedlung nicht: "Ich gehe um halb zwei in der Nacht durchs Schöpfwerk und habe keine Angst."

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Das Schöpfwerk in Wien Meidling ist zurzeit eine einzige Baustelle. Die Fassade der Wohnhaussiedlung wird erneuert, die Fenster werden ausgetauscht. Für die thermisch-energetische Sanierung werden 68 Millionen Euro in die Hand genommen. Bagger, Baucontainer und Absperrgitter sind in weiten Teilen der Siedlung zu finden. Da fällt es kaum auf, dass auch die Schule am Schöpfwerk neuerdings eingezäunt ist - vorerst provisorisch. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass ein 1 Meter 80 hoher Zaun errichtet werden soll. Grund dafür ist die angeblich fehlende Sicherheit in der Siedlung. "Es gibt Brandanschläge, Scherben, Spritzen, Kampfhunde", zählt Christine Huth-Nirschl, die Direktorin einer der beiden im Gebäude angesiedelten Schulen, auf. "Die Schulwände sind als Pissoir verwendet worden. Seit Jahren klagen Schüler und Eltern. Wir haben probiert, die Probleme in den Griff zu bekommen, es war nicht möglich." Der Zaun soll nun Abhilfe schaffen.

Viele Bewohner der Schöpfwerk-Siedlung sind darüber erzürnt. Rund dreißig Personen haben sich zur "Dorfplatz-Gruppe" zusammengeschlossen. In der Bassena, einem lokalen Treffpunkt in der Siedlung, sitzen ein paar von ihnen nun im Sesselkreis zusammen und überlegen, was sie tun können. Zwei Schülerinnen, eine Trafikantin, eine Lehrerin, eine Mutter, ein 60-Jähriger Arbeitssuchender: sie alle sind nicht der Meinung, dass das Schöpfwerk so gefährlich ist. Einen Brief an den Bürgermeister haben sie schon geschrieben und eine Unterschriftenaktion gegen den Zaun gestartet. Ihre Forderung: Ein Baustopp.

Ghettoisierung und Stigmatisierung

Die Bewohner ärgert, dass die Medienberichte der vergangenen Tage über den Zaun ein schlechtes Bild übers Schöpfwerk transportiert haben. "Es stimmt nicht, dass so viel Kriminalität vorherrscht. Kampfhunde gibt es bei uns nicht. Ich gehe um halb zwei in der Nacht durchs Schöpfwerk und habe keine Angst", sagt Maria Wildam, eine Sprecherin der Gruppe. Sie ist Lehrerin und lebt sie 31 Jahren am Schöpfwerk. "Natürlich heißt das nicht, dass es gar keine Probleme gibt", sagt sie. Aber der Platz vor der Schule sei nicht das Zentrum der Gewalt.

Die Anrainer wehren sich, dass ein schon oft durchgekautes Klischee nun wieder an die Oberfläche kommt, nämlich, dass im Schöpfwerk ein rauer Wind wehe: "Wir wehren uns gegen die Ghettoisierung." Wildam: "Es gibt viel hässlichere Bauten, ich würde nicht mehr hier wegziehen." Das Schöpfwerk wird in ihren Augen stigmatisiert. Die Schaffung einer Barriere rund um die Schule sei die  Draufgabe: "Der Zaun ist wie eine Watsch'n."

Gegenkonzept

Am allermeisten stört die "Dorfplatz-Gruppe", dass sie nicht in den Prozess der Beschlussfassung zur Errichtung der baulichen Abgrenzung einbezogen wurde: "Es wurde über unsere Köpfe hinweg entschieden." Dabei haben die Bewohner, als sie das erste Mal von dem Plan gehört haben, sogar versucht, die Verantwortlichen mit einem Gegenkonzept zu überzeugen: Sie schlugen vor, vermehrt Schulsozialarbeiter einzusetzen und Workshops zur Gewaltprävention zu veranstalten.

Die Bemühungen haben jedoch nichts genutzt. Seit wenigen Tagen sind nun die Bagger am Werk.

So schlimm findet Direktorin Huth-Nirschl das allerdings nicht: "Das Tor wird ja geöffnet sein, nur in den Nachtstunden machen wir zu." Sie verstehe den Unmut, sagt sie im Gespräch mit derStandard.at: "Ich kann mir schon vorstellen, dass es nicht schön ist, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden." Gleichzeitig spricht sie eine Einladung an die Anrainer aus: "Sie sollen bei der Gestaltung des Bereichs hinter dem Zaun mitreden und ihn mitgestalten."

Huth-Nirschl rechtfertigt sich außerdem: "Wir wurden um unsere Meinung gefragt und haben sie auch gesagt, aber die Entscheidung ist woanders gefallen - im Bezirk."

Beim Bezirk bekommt man als Begründung für die Errichtung des Zauns folgendes zu hören: "Der Wunsch ist von den beiden Direktorinnen an uns herangetragen worden", sagt Bezirksvorsteherin Gabriele Votava (SPÖ) im Gespräch mit derStandard.at. Sie zieht als Begründung für die Errichtung des Zauns in erster Linie die Verschmutzung, die es im Bereich der Schule gibt, her. "Die Kinder haben ein Recht, mit sauberem Fuß in die Schule zu gehen und keinen Balanceakt durch die Hundstrümmerln machen zu müssen", sagt sie. Votava bedauert, dass sich eine Gruppe von Anrainern vor den Kopf gestoßen fühlt. "Aber lassen wir die Kirche im Dorf", sagt sie, "es sind nicht alle Bewohner dagegen." Auch sie verwehrt sich gegen Aussagen, die Kriminalität am Schöpfwerk sei so hoch. "Hier leben 7000 Menschen", um ein negatives Bild zu erzeugen, reiche es schon, wenn sich nur eine Handvoll nicht an Regeln halte.

"Ab und zu brennt ein Mistkübel"

Ist die Siedlung am Schöpfwerk tatsächlich ein Herd von Gewalt? "Das Schöpfwerk ist kein Kriminalitätshotspot", sagt Hans Golob von der Presseabteilung der Polizeidirektion Wien. Zwar gebe es immer wieder Probleme mit Lärm und Verschmutzung, "ab und zu brennt ein Mistkübel", aber es sei nicht gefährlicher als anderswo in Wien.

Die Anrainer-Gruppe jedenfalls kämpft für die Beibehaltung ihres Dorfplatzes, wie sie den Bereich vor der Schule nennen. Sie posieren für ein Foto vor der Schule mit ein Transparent, auf dem geschrieben steht: "Für die Erhaltung des Dorfplatzes".

Für sie steht fest: sie wollen sich ihren Dorfplatz nicht wegnehmen lassen. Und sie planen bereits ein Fest, das genau hier in der Mitte der Siedlung stattfinden soll. Am 25. Oktober wird mit Bauerngolf und Sackhüpfen gefeiert. Für musikalische Untermalung sorgen Christoph und Lollo mit ihrem nach Aussagen der Anrainer passenden Song: "Diese Stadt gehört schon längst nicht mehr uns". (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 13.10.2011)