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"Die Unterrichtssprache muss möglichst rasch beherrscht werden, das gilt übrigens auch für Kinder österreichischer Herkunft."

APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER

Ende September hat der Wiener Gemeinderat Wolfgang Aigner der Volkspartei nach rund zwanzig Jahren den Rücken gekehrt. (derStandard.at berichtete) Nun will er als Fraktionsloser, aber mit organisatorischer Unterstützung der Wiener FPÖ Oppositionspolitik betreiben. Einen Ratschlag hat der einst schwarze Bildungssprecher noch für seine ehemalige Fraktion: "Die ÖVP sollte einen echten Führungsanspruch stellen, so wie das zuletzt unter Schüssel der Fall war und sich nicht damit zufrieden geben, dass sie hinter den Roten herwatscheln kann." Ob er sich nun der FPÖ oder der ÖVP ideologisch näher fühlt, über die Erziehungsverantwortung der Eltern und Deutsch als Pausensprache an Schulen, "wo es Probleme mit der Verständigung gibt", sprach er mit derStandard.at.

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derStandard.at: Haben Sie im Wiener FPÖ-Klub schon einen Schreibtisch?

Aigner: Ich brauche keinen Schreibtisch. Ich brauche nur eine gewisse Büroinfrastruktur, etwa den Zugang zum Archiv.

derStandard.at: Werden Sie auch an den internen Sitzungen der FPÖ teilnehmen?

Aigner: Ich bin dort eingeladen, aber das dient in erster Linie der Information. Ich bin jetzt nur im Bildungsausschuss. Zugleich bin ich aber auch eine Ein-Mann-Fraktion und kann zu allen Themen Stellung nehmen, was ich auch tun werde. Ich brauche Hilfestellung, damit ich mir Faktenkenntnisse verschaffen kann und bei Anfragen fachliche Unterstützung bekomme. Diese Hilfe bietet mir der FPÖ-Klub.

derStandard.at: Können Sie Ihre Positionen als freier Abgeordneter besser vertreten als früher bei der ÖVP?

Aigner: Ich kann jetzt ohne Rücksicht auf die Parteipolitik zu vielen Themenbereichen Stellung nehmen und meine grundlegenden Werthaltungen vertreten. Das ist ein großer Fortschritt für mich. Am Beispiel der Schulpolitik: Es geht nicht um die Schulorganisation, sondern um die Anforderungen und um die Inhalte. Das Problem ist nicht, dass wir unterschiedliche Schultypen haben, sondern die Frage ist: Welches Niveau wird in der Schule verlangt? Diese Linie habe ich auch in der ÖVP vertreten. Wobei: Man kann leider nicht mehr sicher sein, ob die Linie nicht von heute auf morgen geändert wird. Etwa, dass es einen Abtausch zwischen ÖVP und SPÖ gibt, in dem die Studiengebühren im Gegenzug gegen eine generelle Gesamtschule wieder eingeführt werden. Das wäre für mich inakzeptabel gewesen.

derStandard.at: Das klingt als hätten Sie nicht sehr viel Einfluss gehabt?

Aigner: Kleine und mittlere Funktionäre haben keinen Einfluss, sie erfahren allenfalls Positionen aus der Zeitung. Einfluss hat nur ein ganz kleiner Zirkel in der Bundesregierung.

derStandard.at: Sie sind selbst Lehrer an einer HTL. Wo sehen Sie den größten Veränderungsbedarf?

Aigner: In der Bildungspolitik verfolgt man einen falschen Ansatz, wenn man denkt, dass eine Änderung der Organisation alleine Verbesserungen bringt. Wenn man aus den Hauptschulen plötzlich Neue Mittelschulen macht, wechselt man nur das Türschild. Wichtig ist, dass der Leistungsgedanke durchgetragen wird. In unsere Gesellschaft zählt Leistung immer mehr, aber andererseits versuchen Bildungsexperten zu suggerieren, alles sei Spaß und Happiness. Die Zeugnisse haben daher immer weniger Aussagekraft. Das Lauter-Einser-Zeugnis in der Volksschule ist schon Usus. Wenn man nach neun Jahren Pflichtschule nicht einmal die Fläche eines Tisches ausrechnen kann, dann stimmt aber irgendetwas nicht. Es werden nicht automatisch alle gescheiter, weil alle in einer Eintopfschule sitzen.

derStandard.at: Werden die Schüler also zu wenig gefordert?

Aigner: Man kann nicht das Schulsystem alleine für alles verantwortlich machen. Es ist Tatsache, dass von ihren Eltern geförderte Kinder einen Vorteil haben, das kann kein Schulsystem der Welt ausblenden. Die Schule ist nicht dazu da, die Kinder zu erziehen, sondern Wissen, Kompetenz und Fähigkeiten zu vermitteln. Die Eltern haben die Erziehungsverantwortung. Je mehr man die Schule mit solchen Aufgaben belastet, desto weniger kann sie ihrer wirklichen Aufgabe nachkommen.

derStandard.at: Wie wollen Sie die Eltern dazu bringen, mehr Erziehungsverantwortung zu übernehmen?

Aigner: Das versuchen natürlich auch viele Lehrer von den Eltern einzufordern. Die Gesellschaft muss in dieser Frage umdenken, und das geht nicht von heute auf morgen. An einer zukunftsfähigen Jugend müssen alle Interesse haben. Dementsprechend muss auch ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden, das nicht der Schule alle Probleme aufbürdet. Heute wird vielfach suggeriert: Jeder Mensch ist ein Genie, das die Schule nur zur Entfaltung bringen sollte. Daher eine Einheitsschule für alle Kinder. Jene Experten, die sagen, mit drei Jahren muss man die Kinder nur ins Bildungssystem einschleusen und zwanzig Jahre später kommt ein fertiger Magister heraus, bauen eine lebensfremde Illusion auf. Auch die Eltern müssen zum Bildungserfolg der Kinder beitragen.

derStandard.at: Die FPÖ kritisiert oft, dass Kinder mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen den Unterricht insgesamt nach unten nivellieren. Was halten Sie von dieser Theorie?

Aigner: Das ist keine Theorie, sondern ein Faktum. Die Unterrichtssprache muss möglichst rasch beherrscht werden, das gilt übrigens auch für Kinder österreichischer Herkunft. Es braucht besondere Förderklassen und Vorschulen, die darauf ihren Fokus haben. Die Wiener Stadtverwaltung hat eine Ghettobildung mit allen Folgen zugelassen. Es gibt hier Stadtteile, wo man bestens durchkommt, ohne Deutsch zu können. Das ist auch in den Schulen zu bemerken.

derStandard.at: Können die Grünen in dieser Frage etwas bewegen?

Aigner: Bei den Grünen müsste zuerst einmal die Einsicht reifen, dass dieses nebeneinander Dahinleben für niemanden gut ist. Weder für die, die neu dazukommen noch für jene, die schon länger da sind.

derStandard.at: Teile der FPÖ sprechen sich für Schuluniformen aus. Wie sehen Sie das?

Aigner: Das sollte an jedem Schulstandort von den Eltern, Schülern und Lehrern geklärt werden. Wenn man sich in der Schulordnung darauf demokratisch verständigt, dann ist das in Ordnung. Aber der Staat soll nicht von oben herab Uniformen für alle Schulen verordnen. Gleiches gilt für Deutsch als Pausensprache. Jede Schule kann eine Schulordnung vereinbaren, die jeder neu Aufgenommene, zur Kenntnis nehmen sollte.

derStandard.at: Befürworten Sie also grundsätzlich die Deutschredepflicht in der Schulpause?

Aigner: Es ist nachteilig, wenn die Kinder einander in der Pause nicht verstehen. Wo es Probleme mit der Verständigung gibt und sich Eltern, Schüler und Lehrer darauf demokratisch einigen, kann es sinnvoll sein, eine solche Regelung zu erlassen.

derStandard.at: Wie soll das kontrolliert werden?

Aigner: Die Wiener Hausordnung von Herrn Häupl kann auch kein Mensch kontrollieren. Es muss ja nicht immer gleich Sanktionen geben. Vielmehr wäre es ein Bekenntnis dazu, dass man sich bemüht, auch in der Pause Deutsch zu sprechen, damit das alle verstehen.

derStandard.at: Fühlen Sie sich eigentlich der ÖVP oder der FPÖ ideologisch näher?

Aigner: Ich bin immer ein klassischer Christdemokrat gewesen. Das Problem ist, dass sich die ÖVP davon relativ weit entfernt hat. Man hat das Gefühl es geht mehr um den Machterhalt als um inhaltliche Positionierungen. Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass in der Partei eine Orientierungslosigkeit herrscht. Meine Position vertrete ich schon seit Jahren.

derStandard.at: Schließen Sie es aus, dass Sie jemals wieder zur ÖVP zurückkehren?

Aigner: Ich kann überhaupt nichts ausschließen. Es handelt sich jetzt um den Endpunkt einer Entwicklung, die dazu geführt hat, dass ich aus der Partei ausgetreten bin. Was in der Zukunft ist, wird man sehen.

derStandard.at: Sie wurden 1995 zum Bezirksparteiobmann der Brigittenau gewählt. Sie waren fast zwanzig Jahre für die ÖVP aktiv. Ist es bitter, wenn man sich so lange für eine Partei engagiert und dann nicht weiterkommt?

Aigner: Es geht nicht um das persönliche Weiterkommen, sondern um die inhaltliche Entfremdung. Ich bin nicht jemand, der leichtfertig großartige Veränderungen vom Zaun bricht. Seit ich ausgestiegen bin, geht es mir aber besser.

derStandard.at: Sie sehen sich als Christdemokrat. Parteichef Michael Spindelegger ist sogar Mitglied eines Laienordens. Haben Sie sich erhofft, dass er wieder mehr Christdemokratie in die Partei einbringen kann?

Aigner: Es geht darum, dass man zu seinen Werten steht und nicht alles auf dem Altar der Regierungsbeteiligung opfert. Ich bin der letzte der Religion in die Politik bringen möchte. Die ÖVP sollte aber einen echten Führungsanspruch stellen, so wie das zuletzt unter Schüssel der Fall war und sich nicht damit zufrieden geben, dass sie hinter den Roten herwatscheln kann.

derStandard.at: Können Sie sich vorstellen, eines Tages FPÖ-Klub anzugehören?

Aigner: Das wird man sehen. Derzeit ist es eine auf einer sehr menschlichen Basis beruhende Kooperation. Ich habe mir vor zwei Monaten nicht einmal vorstellen können, dass ich aus der ÖVP austrete. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 13.10.2011)