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Der Shared Space war am Eröffnungstag äußerst gut besucht. Ganz fertig ist er nicht, jetzt kommt noch das Blindenleitsystem.

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Stadtbaudirektor Bertram Werle präsentiert sichtlich stolz den Sonnenfelsplatz.

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"Eigentlich hätte der andere jetzt Vorrang gehabt", sagt Bertram Werle, Stadtbaudirektor von Graz und zeigt auf den neu eröffneten Shared Space. "Aber es hat offensichtlich auch so funktioniert." Werle steht mitten am Sonnenfelsplatz, der seit gut einer Woche eröffnet ist und gibt sich zufrieden: "Auch wenn sich die Leute noch nicht daran gewöhnt haben, dass nun einfach die Straßenverkehrsordnung und der Rechtsvorrang gilt, setzt niemand mit Gewalt seinen Vorrang durch." 

Werle meint, das liege vor allem daran, dass der ursprüngliche Kreisverkehrcharakter des Platzes beibehalten wurde und die VerkehrsteilnehmerInnen noch immer die Runde fahren. Obwohl es auch erlaubt wäre, einfach nach links abzubiegen. Nachdem es in dem öffentlichen Raum nun keine Bodenmarkierungen, Verkehrszeichen oder Ampelanlagen gibt, dürfte man als fahrender Verkehrsteilnehmer im Rahmen der Straßenverkehrsordnung den Platz überall queren. 

Fußgänger rasch, Fahrende mit Rechtsvorrang

Für FußgängerInnen gilt die Regel: rasch, ohne stehenzubleiben und nicht überraschend die Straße überqueren. FahrradfahrerInnen und AutolenkerInnen müssen außerdem auf die Rechtsregel und den Vertrauensgrundsatz achten. Für letztgenannte Gruppe kommt noch hinzu, dass die Geschwindigkeit, "in mehrdeutigen oder verkehrstechnisch unklaren Situationen, den örtlichen Verhältnissen anzupassen ist".

Pro Stunde drängen sich in der verkehrsreichsten Zeit bis zu 1.300 Autos, 1.700 RadfahrerInnen und über 3.000 FußgängerInnen am Sonnenfelsplatz. Das hohe Verkehrsaufkommen war laut Werle auch ein Grund, dass der Platz vor drei Jahren für das Verkehrskonzept ausgewählt wurde. "Außerdem hätte der Platz sowieso saniert werden müssen", erklärt der Stadtbaudirektor. 

Eine "Charette" als Zufriedenheitsmodell

Über das endgültige Aussehen des öffentlichen etwa 4.000 Quadratmeter großen Raumes, der auch die angrenzenden Straßenzüge miteinbezieht, wurde Ende 2009 in einer so genannten "Charette" entschieden: Innerhalb einer Woche wurde das fertige Konzept mit aktiver Beteiligung der Bevölkerung entwickelt.

So wurden auch Wünsche, wie mehr Platz für FußgängerInnen, Grünflächen und ein Trinkwasserbrunnen, berücksichtigt. "Natürlich konnten wir nicht auf alle Vorschläge eingehen, manchmal muss man Kompromisse machen", sagt Werle. "Bei zu vielen Grünflächen würde der Verkehr irgendwann auch nicht mehr fließen." Stolz ist der Stadtbaudirektor aber auf die Tatsache, dass nun etwa 30 Prozent des Platzes den FußgängerInnen vorbehalten sind, anstatt der bisherigen zehn Prozent.

Barrierefreiheit

Abgeschlossen ist der Umbau des Sonnenfelsplatzes aber noch nicht. Es fehlen noch die geplanten acht Bäume, die auf den Verkehr bremsend wirken sollen, und das Blindenleitsystem. Nachdem das Konzept des Shared Space darauf beruht, dass zwischen den VerkehrsteilnehmerInnen Kommunikation vor allem durch Augenkontakt stattfindet, wären blinde Menschen von der Nutzung ausgeschlossen. 

Deshalb sollen ab dem 24. Oktober Bodenplatten mit Rillen an den Hausmauern entlang rund um den Platz führen. Dieses System hat sich bereits in der Stadt bewährt. Um die schwächeren Personengruppen vor dem motorisierten Verkehr zu schützen, wurden außerdem bauliche Abgrenzungen in Form von Steinblöcken zwischen Haupt- und Nebenverkehrsfläche angebracht.

Kleiner Mangel

Aufgrund dieser Maßnahmen, waren auch die Blinden- und Behindertenverbände von dem Projekt überzeugt. "Eigentlich gab es nur einzelne Bürger, die skeptisch waren", erinnert sich Werle. Die habe man noch während der Planungsphase zu überzeugen versucht. Bei manchen KritikerInnen habe das funktioniert, bei anderen nicht. Aber: "Jedes neue Projekt erzeugt im besten Fall Interesse oder auch Skepsis", weiß der Baustadtdirektor. "Denn, wer hat schon Erfahrungen mit Shared Space?"

Obwohl Werle zu "100 Prozent hinter dem Projekt" steht, stört ihn doch eine Kleinigkeit: "Die Färbung des Asphalts ist nicht stark genug." Änderungsbedarf sieht er deshalb aber nicht. Die farblichen Unterschiede seien trotzdem zu erkennen. Mit einem ersten Evaluierungsbericht rechnet Werle dann gegen Ende des Jahres. Man wolle "sich zuerst einmal das Geschehen eine Zeitlang anschauen". (Bianca Blei, derStandard.at, 21.10.2011)