Susanne Sulzbacher, blinde Juristin.

Foto: derStandard.at/rwh

Die 30-Jährige hofft, eine Anwaltskanzlei zu finden, die den Mut hat, eine blinde Rechtsanwaltsanwärterin einzustellen.

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"Eines der ersten Dinge, die ich tun würde, wenn mir ein Augenlicht aufgeht, wäre die Eignungsprüfung fürs Medizinstudium", sagt Susanne Sulzbacher. "Ich brauche die Herausforderung", erklärt die 30-Jährige. 

Sulzbacher feiert Sponsion, hat aber nicht Medizin, sondern Jus abgeschlossen und nimmt heute im Festsaal der Universität Wien ihr Diplom entgegen. Was sie von ihren Kollegen unterscheidet: Sie ist von Geburt an blind. Und hat es dennoch geschafft, ihr Studium der Rechtswissenschaft zu absolvieren. Ab November macht sie die Gerichtspraxis und will danach Anwältin werden. Nur wenige blinde Personen haben das in Österreich bisher geschafft. Genaue Zahlen liegen nicht vor, da man sich als blinder Anwalt nicht deklarieren muss.

Sulzbacher hat sich im Studium auf die Bereiche Verfassungsrecht und Medizinrecht spezialisiert. Nebenher arbeitete sie als Studienfachberaterin für Blinde und Sehbehinderte an den Universitäten in Linz und Wien. Sie hat blinde Studierende unterstützt und sich zum Ziel gesetzt, für sie die Studienbedingungen zu verbessern.

Bei der Studierendensozialerhebung 2009 gaben 3,1 Prozent aller österreichweit Studierenden an, eine Sehbeeinträchtigung zu haben. 0,4 Prozent sagten aus, dadurch ständig beeinträchtigt zu sein.

Prüfung am Laptop

Schwierigkeiten haben blinde Studierende etwa dann, wenn es um die Literaturaufbereitung geht. Statt dem Kodex verwenden blinde Jus-Studenten bei Prüfungen das Rechtsinformationssystem online, das barrierefrei zugänglich ist. 

"Wenn man eine schriftliche Prüfung absolviert, hat man das runtergeladen und schreibt am Laptop", erklärt Sulzbacher. Man hat für die Prüfung länger Zeit als die Studienkollegen: "Ich kann nicht länger als zwei Stunden am Stück arbeiten und an der Braillezeile lesen, weil mir die Finger taub werden." 

Einzelne Prüfungen - etwa Bürgerliches Recht und Verwaltungsrecht - hat Sulzbacher daher mündlich absolviert.

Sulzbacher erzählt im Gespräch mit derStandard.at, für sie sei immer klar gewesen, dass sie einmal studieren werde: "Für mich wäre die Alternative gewesen, dass ich Sekretärin im Krankenhaus Gmünd werde."

Stenotypistin und externe Matura

Sulzbacher stammt aus einem 150-Einwohner-Dorf im Waldviertel, ist bereits im Alter von 6 Jahren nach Wien gekommen, um die Volks- und Hauptschule am Bundesblindeninstitut zu absolvieren. Nach der Pflichtschule hat sie die Ausbildung zur Stenotypistin gemacht und danach die Matura bei Dr. Roland. 

Als sie mit 21 maturiert hat, hat sie sich für das Jus-Studium entschieden. "Ich habe auf einem Ball einen Anwalt kennengelernt. Das war kurz vor meiner Matura und den habe ich sehr, sehr nett gefunden. Und ich habe auch das Gefühl gehabt, dass es Hand und Fuß hat, was der Mann sagt." Sie wollte immer was tun, "wo ich jemandem helfen kann und habe mir dann gedacht, das kann ich als Anwältin auch."

Fest steht für sie: "Wenn ich sehen würde, hätte ich Medizin studiert. Das war mir schon in der Hauptschule klar. Ich leide immer noch darunter, dass ich das nicht kann."

"Alien" im Juridicum

Die ersten Semester an der Uni waren nicht leicht: "Ich bin im ersten Semester immer weinend heimgefahren und hatte keine Ahnung, was ich da mache. Ich hab mir immer gedacht, ich bin ein totales Alien und alle starren mich an. Ich war mir nie sicher, ob ich richtig gekleidet bin."

Doch schon bald knüpfte sie Kontakte und ist von ihren Studienkollegen auch sehr unterstützt worden. "Ich war immer sehr kommunikativ und bin sehr schnell mit Studienkollegen ins Gespräch gekommen. Ich bin nicht auf den Mund gefallen, habe immer alles erfragt, habe wildfremde Menschen gefragt, ob sie mir Bücher kopieren."

Unterstützt wurde sie im Studium außerdem von einer persönlichen Assistenz, die sie beantragt hat. "Die Assistentin hat mir sehr geholfen, zum Beispiel beim Formatieren von Arbeiten. Man kann sehr viel selber machen, aber was gar nicht geht, ist zum Beispiel das Deckblatt bei der Diplomarbeit."

Ihre Assistentin hat sie auch unterstützt, indem sie ihr die Literatur für die Diplomarbeit zusammengesucht hat: "Ich wage zu behaupten, dass man ohne Assistenz keine Diplomarbeit schreiben kann. Ich würde allen blinden Studierenden empfehlen, einen Assistenten zu beantragen."

Mobilitäts- und Orientierungstraining

Probleme, den richtigen Hörsaal zu finden, hatte Sulzbacher keine. Das Juridicum ist schematisch sehr gut angelegt, sagt sie: "Ich habe immer alles gefunden. Natürlich kann man nicht einfach auf die Uni spazieren und anfangen zu studieren. Man absolviert vorher ein Mobilitäts- und Orientierungstraining." Dafür gibt es speziell ausgebildete Personen. Sie lehren einen den Weg zur Uni und zeigen, wie man sich an der Uni zurecht findet. 

Zehn Jahre später - ab November - ist Sulzbacher nun Gerichtspraktikantin und möchte später Anwältin werden. Sie hat sich durchgerungen, dieses Karriereziel zu verfolgen, obwohl sie schon einmal Zweifel hatte: "Ich habe mich lange gedrückt, mich zu bewerben. Ich hatte zwischendurch eine Phase, wo ich mir gedacht habe: Kann das gesund sein als Anwältin? Man muss immer für irgendjemanden um irgendetwas streiten. Ob einem das nicht das Privatleben vergiftet, wenn man immer versucht, etwas auszugleichen oder um etwas kämpft?"

Doch dann ist sie zu dem Schluss gekommen, es durchzuziehen: "Ich komme mir unfertig vor ohne die Gerichtspraxis. Ich glaube nicht, dass man es sich leisten kann, sich als blinder Jurist irgendwo zu bewerben, ohne eine Gerichtspraxis zu haben, weil in jeder Stellenausschreibung steht: Bevorzugt mit Gerichtspraxis."

Wenn man ohnehin schon blind sei, und dann auch noch keine Gerichtspraxis habe, "kannst du einpacken. Das hätte mich immer gewurmt, wenn ich diese Gerichtspraxis nicht gemacht hätte."

Nach den fünf Monaten hofft sie, eine Kanzlei zu finden, die den Mut hat, eine blinde Rechtsanwaltsanwärterin einzustellen.

Weg aus der Nische

Denn wogegen Sulzbacher ankämpfen will, ist der "Nischenstempel", der einem blinden Menschen aufgedrückt wird. Nach dem Motto: "Bist du blind, machst du etwas für Blinde oder Sehbehinderte." Sulzbacher betont, dass sie während des Studiums bereits in diesem Bereich gearbeitet hat. Jetzt ist sie bereit für was Neues: "Ich will auch das Recht haben, woanders zu arbeiten, in einem normalen Beruf." (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 25.10.2011)