Auch Frauen waren im Publikum anzutreffen.

Foto: burg/derstandard.at

Strache sieht im Stephansdom einen "erhobenen Zeigefinger".

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Großzügig haben die Blauen ihr Revier abgesteckt.

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EU, Brüssel, Banken, Rettunsschirm - war auch Gegenstand in Straches Rede.

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"Ich brauch kein Mutterkreuz. Ich brauche keinen Führer und ich bin auch keine Nazihure", sagt Karin Barta. Die FP-Bezirksrätin aus dem fünften Bezirk ist diesen Freitag Nachmittag zu Heinz-Christian Straches Protestkundgebung am Wiener Stephansplatz gekommen. 70 Jahre, graue Haare, roter Lippenstift und fest an ihrer Zigarette ziehend wartet sie auf den Chef im Kreise ihrer Parteifreunde.

Es ist 17 Uhr. Der Stephansplatz füllt sich langsam. Wer zu Hause geblieben ist, kann die Veranstaltung per Livestream über die FPÖ-Homepage mitverfolgen. Mit Bögen aus blauen Luftballons haben die Freiheitlichen ihr Revier großzügig hier im Zentrum Wiens abgesteckt. Wie fast immer bei FPÖ-Veranstaltungen heizt auch diesmal die John Otti-Band ein. In einer Stunde wird Strache kommen und verkünden, dass eine "neue Zeit" anbricht. Bier, Sekt, Glühwein gibt es, muss allerdings bezahlt werden. Gratis gibt es dafür die Rot-Weiß-Roten Fahnen, die ausgeteilt werden. 

Türkisch lernen und den Koran lesen

Barta erzählt, dass ihr Vater eigentlich aus der Ukraine kommt. Sie habe die Matura und außerdem habe sie sich in die Theorien der Frankfurter Schule eingelesen. Ihr Sohn sei Akademiker und lehre an einer Uni in Australien. Früher war sie selbstständig im Handel. Ob es nicht verwunderlich ist, dass Strache jetzt, wo gar keine Wahlkampfzeit ist, hier am Stephansplatz Stimmung macht? "Nein, denn er kümmert sich auch um uns, wenn es keine Wahlen zu gewinnen gibt", sagt Barta. Wenn Strache einmal Bundeskanzler werden sollte, würden endlich Versprechen der Politik eingehalten werden, glaubt Barta. "Wir sind Wutbürger, weil wir vom Staat ausgepowert werden", sagt sie.  Sie sei ein mutiger Mensch. "Ich habe vor nichts Angst".  Beim Betreiben eines FPÖ-Standes habe ihr ein junger Mann einmal ins Gesicht gespuckt und sie als Nazihure beschimpft. Seither stelle ihr die Partei bei solchen Veranstaltungen einen "großen Security Mann" zur Seite. Und damit sie sich in ihrem Bezirk auch mit allen Leuten verständigen kann, lerne sie schon seit geraumer Zeit Türkisch.

Ein Pensionist, seit 20 Jahren leidenschaftlicher FPÖ-Anhänger verfolgt eine ähnliche Strategie. "Man muss sich ihre Waffen beschaffen", sagt er. Auf seinem Nachtkästchen liegt zu diesem Zweck "der Sarrazin" und der Koran, erzählt er. Dass Strache 2013 tatsächlich Bundeskanzler wird, sei nicht gewiss. Aber: "Wenn nicht beim nächsten Mal, dann halt beim übernächsten Mal".

Der Wiener FPÖ-Chef Johann Gudenus hat mittlerweile die Bühne betreten. Er spricht von der "Zuwanderungsgeilheit", die er bekämpfen will. Überwiegend Männer im mittleren Alter schauen zu. Aber auch Frauen und Kinder sind da. Ein junger Mann mit Skaterschuhen, Kapuzenpulli und Hut ist gekommen. "Ich bin aus Niederösterreich, hackle in Wien. Wenn Strache an der Macht  ist, wird alles wieder gesitteter sein", sagt er. Der 18-jährige Maschinenschlosser hofft, dass die FPÖ "das mit den Ausländern regelt". 

Gudenus gegen "Zuwanderungsgeilheit"

Der Platz ist gut gefüllt. Gegenüber derStandard.at schätzt ein Polizist die Besucherzahl auf 500 bis 600. Um 18 Uhr ist es dann so weit. Die John Otti Band animiert das Publikum zu "HC, HC, HC"-Rufen. Klatschen, Welle, Fahnen schwenken. "Die Medien sollen es ruhig sehen. Man kann nicht aufhalten, was das Volk will". Strache betritt die Bühne. Johlen. Stolz halten zwei 15-jährige Mädchen ihr Transparent in die Höhe. "Every Bank is Bad Bank" ist darauf zu lesen. Sie erhoffen sich von Strache, dass das "Ausländer-Problem" gelöst werde, erklären sie im Gespräch mit derStandard.at. 

Der erhobene Zeigefinger

Strache ist auf der Bühne und begrüßt seine "lieben Freunde". Er spüre die Kraft des Publikums. Der Stephansdom bietet eine "großartige Symbolik", sagt er. "Der Turm steht mahnend für den erhobenen Zeigefinger", leitet er seine Rede ein. Ein Fan verliert schon nach wenigen Minuten die Geduld und brüllt: "Rede nicht über den Stephansdom, rede über die Ausländer, HC".

Strache: "Ihr seid das Volk, ihr seid die Instanz, von der alles auszugehen hat. Ich habe keine Angst vor'm Volk. Wir leiten hier am Stephansplatz eine neue Zeit ein". Altbekannte Schlagworte wie Stillstand, Europäische Diktatur, Bankensprecher in der Regierung, Zuwanderungswahnsinn, Kritik an Faymann, Spindelegger, den Gebührenerhöhungen in Wien und am Bildungssystem, das den Jungen keine Leistung abverlange, folgen. "Falls ich es jemals schaffe ins Bundeskanzleramt einzuziehen, wird mein erster Tag ein Tag der offenen Tür sein". Dazu bräuchte es "Mut statt Wut. Fruchtbarer Mut für eine neue Zeit". Er sei bereit, sich den Problemen zu stellen und möchte wieder für mehr Respekt, Sauberkeit und den Wert Familie eintreten, "wenn ihr an meiner Seite steht, weil ich es alleine nicht zusammenbringe". Und: "Unsere Kraft ist die Kraft der Liebe". Zum Schluss leitet Strache sein Publikum an, "zuerst" zu rufen nachdem er "Österreich" gerufen hat. Österreich - Zuerst. Österreich - Zuerst. Österreich - Zuerst. Bundeshymne. Abgang.

"Alle Politiker sind hinterlistig, korrupt und falsch, wenn sie an der Macht sind", sagt Patrick F. Davon könnte man auch Strache nicht 100-prozentig ausnehmen. Der 22-Jährige arbeitet in der Gastronomie und meint, mit dem Land geht es bergab. Eine neue Partei sollte nun einmal die Chance bekommen. Dass Strache tatsächlich Kanzler werden könnte, glaubt auch er nicht. "In Wien wählen viele Alteingesessene die Roten." Aber in seiner Altersgruppe wählen alle Strache: "Irgendwann werden wir kommen." (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 28. Oktober 2011)