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Der "Kosmos an Referenzen" wächst sowie die Anforderungen ans Bibliografieren. Die Fußnote ist fest im wissenschaftlichen Alltag verankert - aber ist sie Freund oder Feind der Wissenschaft?

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Anthony Grafton ist spezialisiert auf Leser- und Buchforschung.

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Die Fußnote sei wie die Toilette, schreibt Anthony Grafton, "ein undankbares Thema für ein kultiviertes Gespräch", und Aufmerksamkeit errege sie dann "wenn sie nicht richtig funktioniert". 1995 widmete der amerikanische Historiker dem Kleinod der Wissenschaft ein eigenes Buch. Dem UniStandard gibt er ein Update im Licht der Plagiatsdebatte.

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UniStandard: In Ihrem Buch zeigen Sie Fußnoten-Verehrung, aber auch Fußnoten-Bashing. Wie steht sie heute da?

Grafton: Es gibt eine riesige anti-intellektuelle Welt, die sagt, Referenzsysteme seien sinnlos. Das Argument ist: Jeder Text baue auf früheren auf, und daher gebe es weder Ursprung noch Plagiat. Das ist lächerlich. Früher erzählte die Fußnote, welcher Schule man angehörte. Heute, wo es einen viel größeren Kosmos an Referenzen gibt, ist das schwer zuzuordnen. Das interessiert mich beim Lesen deutscher Wissenschaftstexte.

UniStandard: Der Ruf der Fußnote ist soll also gerettet werden. Wie?

Grafton: Indem wir auf Plagiate hinzeigen. Kontrolle und Strafe soll Plagiatoren entmutigen. Wir gehen davon aus, dass die Menschen individuelle Arbeit machen und für diese auch honoriert werden sollten. Jedoch mag ich diese moralistischen Kampagnen nicht. Sie sind - Sie entschuldigen - ein Charakterzug der deutsch-sprachigen intellektuellen Welt: Jeder muss Position beziehen und sich von der schuldigen Person distanzieren. Im englischsprachigen Raum wird das nicht so systematisch gemacht.

UniStandard: Was halten Sie von der ungnädigen Bezeichnung des "Plagiatsjägers"?

Grafton: Das ist keine sehr intellektuelle Herangehensweise. An US-Unis wird mit Plagiatsfindern gearbeitet: Die Studenten geben ihre Papers mit turnitin.com-Checks ab. Das ist als pädagogisches Werkzeug sinnvoll, vor allem für jene, die in der Schule lernten herunterzuladen, statt zu schreiben.

UniStandard: Ist eine gewisse Referenz-Besessenheit auch Problem des deutschsprachigen Raums?

Grafton: Ja, es gibt eine eigenartige Religion des vollständigen Zitierens, das eigentlich unvollständig ist, weil auf deutsche Quellen beschränkt. Man sollte nicht zitieren, woraus man nicht lernt.

UniStandard: Werden in den USA Plagiate öffentlich diskutiert?

Grafton: Ja, aber in den wenigsten Fällen bei Politikern. Die haben normalerweise sehr gute PhDs. (Julia Grillmayr, DER STANDARD, Print-Ausgabe, November 2011)