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In diesem Semester finden die neuen STEOP-Prüfungen erstmals statt. Wer eine Prüfung zum zweiten Mal nicht schafft, ist für immer für das betreffende Fach an der jeweiligen Uni gesperrt.

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Hopmann: "Für mich als Professor, der für internationale Didaktik angesehen ist, ist das neue Format fast peinlich."

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Im März wurde die neue Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP) im Parlament beschlossen. Seit dem Wintersemester wird sie an jenen elf Unis, die keine generellen Zugangsbeschränkungen haben, umgesetzt. Nur wer alle Prüfungen im ersten Semester besteht, darf weiter studieren.

Das Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien ist von der neuen Regelung betroffen. Stefan Thomas Hopmann, Professor für Schul- und Bildungsforschung, kritisiert die STEOP scharf: "Die Studenten müssen die Unfähigkeiten der Politik ausbaden." Weshalb sich sein Institut gegen die "versteckte Rausprüferei" wehrt und warum die jetzige Regelung sozial ungerechter als jede Form von Studiengebühren ist, sagt er im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Wie bewerten Sie die Eingangsprüfungen für die Erstsemestrigen?

Hopmann: Eine Studieneingangsphase ist an und für sich sicher sinnvoll. Die neue Regelung ist didaktisch aber ziemlich unsinnig. Es finden Monstervorlesungen mit 600 Leuten statt.

derStandard.at: Wieviele dieser 600 Studienanfänger werden die Prüfung bestehen?

Hopmann: Wir haben noch keine Erfahrungswerte. Bisher waren die Einführungsvorlesungen prüfungsimmanent. Das heißt, es gab mehrere kleine Tests. Da haben wir kaum Leute rausprüfen müssen, weil die meisten im Laufe des Semesters für sich entschieden haben, ob sie das Studium weiterführen wollen oder nicht. Am Schluss sind vielleicht zehn Prozent durchgefallen. Wie das jetzt ausgehen wird, kann keiner von uns vorhersagen.

derStandard.at: Welchen Umfang an Prüfungsstoff müssen die Studierenden lernen?

Hopmann: Das, was in der Vorlesung durchgenommen wird. Das Paradoxe ist, dass die Vorlesung gar nicht mehr zählt, sondern nur noch die Prüfung. Man müsste die Vorlesung gar nicht besuchen, was viele leider auch machen. Das bereitet mir Kummer.

Denn wenn man das alles auf eigene Faust lernt, ist das Risiko relativ hoch, dass man das in den falschen Hals bekommt. Das ist der Unterschied zu vorher: bei den prüfungsimmanenten Vorlesungen waren alle da.

Didaktisch ist die neue Regelung ein Schmarren. Wir haben uns auch dagegen gewehrt, wir wollten gerne bei unserer alten Regelung bleiben, aber die Juristen haben erklärt, dass uns die Novelle das nicht erlaubt.

derStandard.at: Manche Unis erlauben zumindest drei Prüfungsantritte, die Uni Wien aber nur zwei.

Hopmann: Das macht das Kraut nicht fett. Das zentrale Problem ist eigentlich, dass eine Studieneingangsphase vor allem auf Lasten von denjenigen geht, die akademisch nicht so stark sind oder kein Umfeld haben, das mit Universitäten umgehen kann. Die gegenwärtige Regelung ist mit Sicherheit sozial ungerechter als jede Form von Studiengebühren. So wie wir das jetzt organisieren, ist das die sozial selektivste Variante.

Wenn wir kleinere Einführungsveranstaltung machen würden – mit 25 Studierenden – dann würde das Institut knapp zehn Stellen ausschließlich fürs erste Semester brauchen. Das geht natürlich nicht. Da haben wir nicht andeutungsweise das Personal dafür.

derStandard.at: Wie soll man den Zugang regeln?

Hopmann: Das ist eine politische Entscheidung: entweder man sagt, "lasset die Kindlein zu mir kommen". Dann müssen wir aber auch das Personal haben, um die Leute betreuen zu können. Oder man sagt, "Nein, das Personal gibt es nicht". Dann müssen aber auch klare Grenzen gesetzt werden, die sich danach richten, welche Studierendenzahlen die einzelnen Studienrichtungen verdauen können.

Das schlechte Betreuungsverhältnis ist ja nicht nur in der Studieneingangsphase ein Problem. Es setzt sich bei Seminaren und Qualifikationsarbeiten fort. Wir müssen im Durchschnitt fünf bis sechsmal so viele Qualifikationsarbeiten betreuen, wie das in Norwegen überhaupt erlaubt ist – schlicht und einfach wegen der Studentenmassen.

Ich muss meine Diplomanden und meine Bachelorkandidaten jedes Mal fragen: "Worüber schreiben Sie denn?" Ich kann mir das bei der Anzahl nicht mehr merken.

derStandard.at: Die Politik war also zu feige, um sich für eine klare Regelung zu entscheiden?

Hopmann: Bei der STEOP ist de facto die Erwartung damit verbunden, dass wir – die Institute – die Zahl der Studierenden auf ein Level reduzieren, das wir bearbeiten können. Damit deponiert man den schwarzen Peter bei uns, indem man sagt, ihr müsst euch selber Luft verschaffen.

Wir weigern uns, die Studieneingangsphase als versteckte Rausprüferei zu betreiben. Wir bezahlen aber auch den Preis dafür, indem wir arbeitszeitmäßig total überlastet sind. Wir haben in der Zwischenzeit auch schon Schwierigkeiten, qualifizierte Bewerber zu finden. Wenn wir erzählen, welche durchschnittliche Wochenarbeitszeit wir haben, wie hoch die Teilnahmezahlen in den Lehrveranstaltungen sind, dann bedanken sich die Bewerber freundlich und suchen sich eine andere Uni.

derStandard.at: Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Woche?

Hopmann: 60 bis 70. Das ist bei uns am Institut normal. Im Verhältnis zu Kollegen bin ich nicht besonders belastet.

derStandard.at: Aus pädagogischer Sicht betrachtet – wie sinnvoll sind Massenprüfungen wie jene in der STEOP?

Hopmann: Die Menge des Stoffes macht es nicht aus. Die reine Lesestoffmenge ist geringer als im internationalen Vergleich. Da liegen wir an der unteren Kante dessen, was international üblich ist. Der Unterschied ist aber, dass wir weder die Tutoren, noch das Personal haben, um den Leuten mit dem Stoffumfang zu helfen. Jetzt könnte man natürlich hergehen und den Stoff zusammenkürzen auf das, was jeder auf eigene Faust lernen kann. Aber was hat das dann noch mit universitärem Studium und Einführung in das Fach zu tun? Die Studierenden sollen repräsentativ ein Bild bekommen von dem Fach, was sie da erwartet. Ich selber gebe den Studierenden deshalb eine Mischung aus klassischen bis zu modernen Forschungstexten zu lesen, um die Breite der verschiedenen Anforderungen, die in dem Fach auf einen zukommen, darzustellen. Aber man fragt in so einer Modulprüfung dann nicht nach Details, das wäre unfair. Ich frage nicht nach dem Geburtsjahr eines Philosophen, sondern es geht darum, Zusammenhänge abzufragen.

derStandard.at: Andere Studienrichtungen verteilen Skripten, anstatt Primärquellen abzuprüfen.

Hopmann: Eine Skripten-Lösung finde ich irreführend. Ich will nicht, dass die Leute einfach Wiedergekäutes kennenlernen, sondern dass sie durchaus Originaltexte kennenlernen, damit sie ungefähr eine Ahnung haben, was in diesem Fach diskutiert und behandelt wird. Deswegen haben wir uns dagegen entschieden.

Wir sind bei unserem bestehenden Textkorpus geblieben. Da war aber noch die Hoffnung damit verbunden, dass wesentlich mehr Studierende an der Vorlesung teilnehmen würden.

derStandard.at: In Ihrer Vorlesung haben Sie die STEOP mit Bulimie verglichen. Wie haben Sie das gemeint?

Hopmann: Das hat mir wütende Mails von ein paar Mädchen eingetragen. Ich habe mich auch in der Vorlesung entschuldigt. Bulimie deshalb – alles hineinfressen und im richtigen Moment rauskotzen. Das ist eine unmögliche Studienform. Wir würden sehr gerne parallel zu unseren Vorlesungen, die ja nicht schlecht sind, Begleitseminare machen: Wo man den Text mit ein paar anderen Leuten diskutieren kann. Aber wir können hier nicht unsere ganze Personalressource reinstecken. Das würde jede Dimension sprengen.

Unsere Wissenschaft wird durch die STEOP kaputt gemacht machen. Für mich als Professor, der für internationale Didaktik angesehen ist, ist das neue Format fast peinlich, aber ich darf nichts Anderes. Das ist uns schlicht und einfach verboten worden.

derStandard.at: Kritisiert wird auch, dass man bei zwei negativen Prüfungsergebnissen lebenslänglich gesperrt wird. Was sagen Sie dazu?

Hopmann: Das ganze Verfahren ist Unsinn. Es ist Politikersatz dafür, dass man nicht bereit ist, sich wirklich zu entscheiden. Die Studenten müssen die Unfähigkeiten der Politik ausbaden. Deswegen empört mich auch immer, wenn die Politiker mit dem freien, sozialen Hochschulzugang argumentieren. Das ist einfach gelogen.

derStandard.at: Was bedeutet die STEOP für den Erstsemestrigen?

Hopmann: Es kann gute Leute treffen, die gar nicht die Zeit hatten, überhaupt erst einmal die Uni kennenzulernen. Wir verlieren möglicherweise richtig gute Leute, die nicht richtig ausgestattet bei uns aufgetaucht sind, die keine Zeit kriegen, sich erst einmal an der Universität zu akklimatisieren. Früher hat man gesagt, das erste Studienjahr geht hauptsächlich damit drauf, zu lernen mit der Uni umzugehen.

Dazu gehört, dass man lernt von selber aufzustehen und dass man sich daran gewöhnt, sich die Arbeitszeit selber einzuteilen. Durch diese Studieneingangsphase gibt's gar keine Zeit, sich richtig einzufinden. Dann darf man die Prüfung zweimal machen und es ist möglicherweise der Lebenstraum zerstört, wenn man nicht das Geld hat, ins benachbarte Ausland zu gehen. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 4.1.2012)