Vertonte Gedichte als Alltagsreden: Ursula Strauss.

Foto: Rabenhof/Pertramer

 

Wien - Christine Nöstlingers Gedichte Iba de gaunz oamen Leit (erschienen ab 1974) machen den Leser mit schönen Worten wie "Schneizgatte" bekannt. Mit einer solchen kann man im Suff verschüttetes Bier wegwischen oder sich die Tränen der Trauer über das vergeigte Leben trocknen. Doch so viel Melancholie können sich die Protagonisten der nun für die Bühne bearbeiteten Texte gar nicht leisten. Sie sind an den Haushalt gekettet oder an die Bierflasche, wollen ihren Gatten ermorden und/oder sich selbst "hamdrahn".

Matthias Jodl und Anatole Sternberg (auch Regie) haben die Dialektgedichte der österreichischen Schriftstellerin einer Handvoll Bewohner/innen eines Gemeindebaus in den Mund gelegt. Eine gute Idee, da sich die losen Reden durch den damit vorgegebenen gemeinsamen Lebensraum wie von selbst zu einer Geschichte zusammenfügen. Dass die Figuren weniger miteinander agieren als jeweils für sich reflektieren, tut dem Drama also keinen Abbruch.

Der Kniff liegt vor allem im Bühnenbild (ebenfalls Sternberg). Eine aus transparenten Wänden bestehende Gemeindebauwohnung ist das simultane Zuhause für alle fünf Menschen: Mutter (Ingrid Burkhard) und Sohn (Gerald Votava), eine Frau (Ursula Strauss) und ein Mann (Christian Dolezal) sowie ein als "Erzähler" ausgewiesener Musiker (Wolfgang Schlögl), der mit seinem Reglerpult entschlossen in der Badewanne Platz genommen hat. Schlögl, der begehrte Bühnenmusiker, hat die Gedichte mit sanfter Rap-Rhythmik überzogen (und auch dazwischen mit leichter Hand atmosphärisch hineinkomponiert). Das bringt ihre Verwandtschaft zu H. C. Artmann oder Georg Danzer zum Vorschein (z. B. Dunasdog um zwöfe oder Wos wüs denn no?).

Mit vergeistigten Blicken und als könnte ihr die Gegenwart in Wahrheit nichts mehr anhaben, sinniert die Mutter (sehr pointiert: Burkhard) über längst vergessene Episoden im Gemeindebau. Ursula Strauss verlängert das Cola ihrer zynisch-verbitterten Hausfrau mit kräftigen Schüssen Rum. Hingegen sind Christian Dolezal und Gerald Votava weniger ihren Figuren als sich selbst zu Diensten: Ihnen steht bei ihren Auftritten - als Betrunkener oder Puffbesucher - immer wieder ihre eigene Gewitztheit im Weg. (Margarete Affenzeller   / DER STANDARD, Printausgabe, 19.1.2012)