"Wir sollen befähigt werden, auch Urteile über politische Meinungen zu fällen. Man braucht eine Diskursfähigkeit, muss wissen, wie man politisch handelt."

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Thomas Hellmuth.

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"Die Professionalisierung politischer Bildung hat in Österreich noch nicht stattgefunden", sagt Thomas Hellmuth, Assistenzprofessor an der Universität Salzburg und Vorsitzender der Interessengemeinschaft Politische Bildung. Er kritisiert, dass die Professur für politische Bildung an der Universität Wien eingestellt wird: "Das Geld, das in das Institut hineingesteckt wurde, hat keine Nachhaltigkeit. Ein kurzes Aufflammen politischer Bildung, und das ist es dann gewesen." Die Professur habe zur Aufgabe gehabt, die Initiativen in Österreich besser zu vernetzen und neue Impulse zu geben.

Warum politischer Bildung in Österreichs Schulen zu lange Zeit zu wenig Raum gegeben wurde und wie man junge Menschen zu mündigen Bürgern erziehen kann, sagt Hellmuth im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Wie ist es um die politische Bildung in Österreich bestellt?

Hellmuth: Nicht besonders gut. Es gab 2007/2008 zwar die Demokratie-Initiative und damit in Zusammenhang einige Projekte, aber in der Zwischenzeit ist alles wieder ruhig geworden. Die Professur an der Universität Wien wurde im Rahmen der Demokratie-Initiative ins Leben gerufen. Es ist in den vergangenen Jahren einiges passiert, aber nichts wirklich Strukturelles. Man hat den Lehrplan für Hauptschulen und AHS-Unterstufen geändert, ein Kompetenzmodell für politische Bildung ausgearbeitet. Das ist auch im Lehrplan der Unterstufe verankert worden. In Linz gibt es zudem seit 2009 ein Masterstudium, das unter anderem der Fortbildung der Lehrer und Lehrerinnen dient. Aber das Problem ist, dass letztlich keine einheitliche Ausbildung existiert, sondern eine sehr bunte Mischung. Das klingt zwar auf den ersten Blick sehr positiv, aber wenn man genauer hinschaut, dann weiß man nicht so recht, was die Inhalte politischer Bildung sind, wie sie erfolgen soll. Das ist ein Hinweis, dass die Professionalisierung politischer Bildung in Österreich noch nicht stattgefunden hat.

derStandard.at: Worauf führen Sie das zurück?

Hellmuth: Das ist wahrscheinlich auch historisch bedingt. Man müsste weit ausholen. In Deutschland hat man im Zuge der "Re-Education"-Maßnahmen gleich nach 1945 versucht, politische Bildung als eigenes Fach einzuführen. In Österreich hat man das nicht gemacht. Politische Bildung bzw. die Thematisierung von Politik in der Schule war sehr lange Zeit tabu, da damit Manipulation und Indoktrination in Verbindung gebracht wurden. Außerdem hätte politische Bildung bedeutet, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, und das war nicht unbedingt erwünscht – Österreich galt ja als "Opfer".

Seit 1978 gibt es zwar ein Unterrichtsprinzip politische Bildung, aber eine Ausbildung dazu hat es nie ausreichend gegeben. Zwar wurde in den 1980er Jahren ein Fortbildungslehrgang eingerichtet, der zum Teil vom Unterrichtsministerium finanziert wurde und nun an der Donauuniversität als Masterstudium geführt wird. Dieser erreicht aber nur einen sehr kleinen Teil der Lehrer und Lehrerinnen. Dabei sollte laut Unterrichtsprinzip jeder Lehrer in der Schule in jedem Fach politische Bildung unterrichten. Das Wissen, wie man politische Bildung unterrichtet, ist aber nicht vorhanden bzw. hängt von der Initiative des einzelnen Lehrers ab, der sich zumeist autodidaktisch weiterbildet.

derStandard.at: Was genau soll im Unterrichtsfach Politische Bildung vermittelt werden?

Hellmuth: Es geht nicht darum, nur Staatsbürgerkunde zu unterrichten. Das wurde sehr lange gemacht und wird zum Teil auch noch heute unter politischer Bildung verstanden. Staatsbürgerkunde ist zwar wichtig, aber in erster Linie sollte die Mündigkeit der Bürger und Bürgerinnen gefördert werden. Dazu braucht man politische Kompetenzen. Es reicht nicht aus zu wissen, wie viele Abgeordnete im Parlament sitzen, das macht uns nicht mündig. Wir sollen befähigt werden, auch Urteile über politische Meinungen zu fällen. Man braucht eine Diskursfähigkeit, muss wissen, wie man politisch handelt.

derStandard.at: Sie haben erwähnt, dass es keine einheitliche Ausbildung gibt. Wie wird man Lehrer für politische Bildung?

Hellmuth: Das Problem ist, dass politische Bildung an den meisten Schulen mit anderen Fächern kombiniert ist, zum Beispiel mit Geschichte und Sozialkunde, in den berufsbildenden Schulen auch mit Recht. Dort reicht es aus, wenn Juristen eine vierjährige Praxis haben. Dann dürfen sie politische Bildung unterrichten. Ansonsten ist in der Lehrer- und Lehrerinnenausbildung politische Bildung eine periphere Angelegenheit, also keineswegs gleichgestellt mit der Fachdidaktik, die bislang an den Universitäten ohnehin einen eher geringen Stellenwert hatte. Seit einiger Zeit ist aber Bewegung in diesem Bereich festzustellen.

derStandard.at: Die Professur für politische Bildung an der Universität Wien wurde gestrichen. Ein weiterer Rückschritt?

Hellmuth: Die Professur war nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sie ist von der Regierung mitfinanziert worden und hatte die Aufgabe, die politische Bildung in Österreich besser zu vernetzen, Impulse zu geben, auch hinsichtlich neuer Curricula. Die Lehramtsstudierenden konnten Lehrveranstaltungen des Instituts besuchen, diese waren aber nicht verpflichtend. Das Geld, das in das Institut hineingesteckt wurde, hat keine Nachhaltigkeit. Ein kurzes Aufflammen politischer Bildung, und das ist es dann gewesen.

derStandard.at: Was fordert die Interessengemeinschaft Politische Bildung?

Hellmuth: Die Beibehaltung der Professur und des Departments oder die Neugründung an einer anderen Fakultät. Es ist wichtig, dass ein solches Institut existiert. Noch besser wäre es allerdings, wenn an allen Universitäten solche Institute als Anlaufstelle für die verschiedenen Lehramtsstudenten gegründet würden. Es gibt das Unterrichtsprinzip, und dafür sollte auch ausgebildet werden.

derStandard.at: Die Lehrerausbildung soll reformiert werden. Ist das vielleicht eine Möglichkeit, die Ausbildung zum Lehrer für politische Bildung umzugestalten?

Hellmuth: Es gibt die Versuche, an verschiedenen Universitäten "Schools of Education" einzurichten. Hier besteht die Chance, die politische Bildung gleichwertig mit der Didaktik der Geschichte zu verbinden. Da könnte einiges gemacht werden. Aber es hängt von den einzelnen Universitäten ab, die autonom sind, von der Bereitschaft und Offenheit der Institute oder Fachbereiche.

derStandard.at: Wie sieht das im internationalen Vergleich aus?

Hellmuth: In Deutschlang gibt es beispielsweise ein eigenes Lehramtsstudium, weil es ja auch ein eigenes Unterrichtsfach gibt. Damit verglichen ist die Möglichkeit der Ausbildung in Österreich durchaus beklagenswert. In der Schweiz sieht es allerdings ähnlich aus: Dort gibt es noch zusätzlich Probleme aufgrund des starken Föderalismus, des "Kantönligeistes". Die Einführung einer gemeinsamen Ausbildungsstruktur wird dadurch noch zusätzlich erschwert.

derStandard.at: Soll politische Bildung ein eigenes Unterrichtsfach sein?

Hellmuth: Darüber lässt sich streiten. Derzeit ist es illusorisch, ein eigenes Unterrichtsfach zu fordern. Aber man muss nicht unbedingt ein eigenes Unterrichtsfach haben. Interdisziplinarität hat auch ihre Vorteile. Zentral ist aber eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung. Die muss gewährleistet sein. Vielleicht bietet hier aber die neue Lehrerausbildung tatsächlich Chancen. Voraussetzung ist dafür aber, dass sie an den Universitäten erfolgt, zumal diese im Gegensatz zu den Pädagogischen Hochschulen wissenschaftliches Know-how haben. Aber das ist wieder eine andere Diskussion. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 31.1.2012)