Nur shoppen ist auch schwer: Kehrstephan als Nora.

Foto: L. Spuma

Graz - Das Püppchen Nora ist ab der ersten Minute, da sie die Bühne des Grazer Schauspielhauses betritt, ein latent aggressives. Ihr scheint gleich der nicht vorhandene Kragen über dem hübschen roten Dekolleté zu platzen, wenn sie angewidert selbst die Szene - ihre gutbürgerliche Wohnung - beschreibt: "Kupferstiche an den Wänden", zischt sie. Und es klingt wie: "Überall Erbrochenes." Da steht nicht Ibsens devote vergnügte Ehefrau, die ihrem Mann Spielzeug und Statussymbol statt Gefährtin ist. Da steht gleich jene Nora, die am Ende aus ihrem Puppenhaus, das mit mannshohen Geschenken verstellt ist (Bühne: Mascha Mazur), ausbrechen wird.

Kelomat im Textkorsett

Es ist beeindruckend, wie Evi Kehrstephan in ihrer ersten großen Rolle am Haus diese Frau verkörpert: Das Textkorsett hält Nora noch zurück, der Körper ist schon unter Druck wie ein Kelomat. Sie hat etwas Gehässiges in der Stimme, wenn sie ihrer kinderlosen armen Freundin (routiniert: Verena Lercher) ihr "herrliches", tatsächlich fremdbestimmtes Leben mit drei Kindern und einem baldigen Bankdirektor beschreibt. Doch sie grinst, wenn sie von der Krankheit des Freundes Dr. Rank (als wunderbarer Gummimensch: Cornelius Körber) erzählt.

Regisseur Wojtek Klemm, der auf deutschen wie polnischen Bühnen reüssiert, zieht mit viel Körperarbeit eine zweite Ebene in das Stück. Auf ihr wird das Innenleben der Figuren durch mechanische, präzise Wiederholungen von Gesten und Sätzen (Choreographie: Maciej Prusak) seziert. Nicht nur Nora entpuppt sich da als unfrei. Ihr Mann Torvald (Simon Zagermann) unterhält sich mit seinem "Vögelchen" oder "Eichhörnchen" mitunter in geraunten Tierlauten, die vom zärtlich infantilen Ton bald in einen absolut gestörten Soundteppich eines Paares mutieren, das nicht ernsthaft miteinander reden kann.

Ein Vergnügen ist auch Gerhard Liebmann als bösartiger Anwalt Krogstad, der Nora erpresst, weil sie vor Jahren, um ihren damals kranken Mann zu retten, eine Unterschrift fälschte. Als Nora die Kündigung Krogstads durch ihren Mann nicht verhindern kann, taucht der verbitterte Anwalt wie ein Totenglöckchen aus dem Dunkel auf. "Kündigung, Kündigung, ich hab' meine Kündigung" summt er der Panikerin ins Ohr.

Diese wird noch ein letztes Mal für ihren Mann tanzen und sich in ein lächerliches Kostüm, einen Mix aus Plüschhund und Domina, packen, bevor sie ihn verlässt. Denn als er - im irrwitzigen Superhelden-Anzug (Kostüme: Julia Kornacka) - vom "Fehltritt" seiner Nora erfährt, erkennt die, dass er nur Moral und Verliebtheit, nie aber Liebe kannte. Reger Applaus.  (Colette M. Schmidt / DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.2.2012)