Beförderte mit zahlreichen Uraufführungen die Karriere Václav Havels: Achim Benning.

Foto: Contrast

Wien - Die soeben erschienene Textkompilation "In den Spiegel greifen" (Edition Steinbauer), eine Sammlung geschliffener Reden und Essays, ermöglicht Einblicke in eine merkwürdig verblasste Ära des Wiener Burgtheaters: Von 1976 bis 1986 versuchte sich Direktor Achim Benning als behutsamer Modernisierer, der rasch ins Fadenkreuz selbsternannter Traditionsbewahrer geriet. Ein Gespräch über die Erinnerungskultur mit Ronald Pohl.

Standard: In Ihren Schriften obwaltet ein grüblerischer Ton: Sie bekennen sich darin zur Skepsis. Haben Sie sich mit den zahlreichen Ungerechtigkeiten, die die Beurteilung Ihrer Burgtheater-Direktion betreffen, abgefunden?

Benning: Da würde ich einen der wenigen von mir geschätzten Politiker zitieren: Fred Sinowatz mit dem Satz, dass alles sehr kompliziert ist. Und das Komplizierte muss man historisch relativiert verstehen. Unsere Skepsis galt dem Hosianna-Optimismus, dass man mit dem Theater die Welt verändern könne. Meine Betonung der Skepsis entspringt dieser Oppositionshaltung. Der Zweifel ist der Ausdruck des jeweiligen Textes, der zeitgebunden entstand.

Standard: Aber Sie bekennen sich zum Motiv?

Benning: Es ist kein Ausdruck der Verbitterung, ich bin mit meiner Berufszeit sehr im Reinen, obwohl das wieder zu geschwollen klingt. Ein Wort wie "verkannt" wäre mir ein zu barocker, zu üppiger Begriff. Dass man sich mit unserer Arbeit nicht auseinandergesetzt hat, bleibt ein Faktum bis heute. Wenn man dagegen gewesen wäre, auch ideologisch-theoretisch - das wäre ja etwas gewesen. Man hat sie bloß ignoriert.

Standard: Ihre Theaterarbeit an der Burg wurde unterlaufen?

Benning: Als ich 1980 in einer Kainz-Medaillen-Rede gegen gewisse Teile des Wiener Journalismus unmissverständlich Stellung bezog, gab es keine Reaktion. Keiner schrieb: Was fällt diesem Schnösel ein? Nichts, null. Nun war in einer Zeitung, wie damals üblich, der Abdruck der Rede vorgesehen. Die wurde gesperrt und kam nie. Alles ging in Watte unter. Auseinandersetzung, Widerspruch hätten ja eine gewisse Befriedigung erzeugt. Aber dieses "Wegsumpern" war seltsam. Die Reaktion kam einigermaßen verspätet. Dieselben, die uns vorher wie linke Lümmel behandelt hatten, bezeichneten uns nun als Reaktionäre, und das völlig unreflektiert. Gewissen Leuten wäre das heute, im Nachhinein, peinlich. Daher wird unsere Arbeit an der Burg weiterhin totgeschwiegen.

Standard: Sie meinen die Arbeitsbiografien einzelner Kulturjournalisten, die fröhlich in die Ära Peymann hinüberglitten?

Benning: Und auch die vielen posthumen Václav-Havel-Freunde. Wir haben uns um Havel noch und noch gekümmert an der Burg, und keiner seiner heutigen dicken Freunde ist uns damals irgendwie näher aufgefallen. Wir wurden als "Linksfaschisten" von denjenigen Leuten bezeichnet, die heute sagen: mein Freund Václav!

Standard: Ihre Direktionsarbeit wurde nicht nur vom damaligen FPÖ-Chef Peter, sondern interessanterweise auch von Erhard Busek wüst geschmäht. Wie erklären Sie sich das im Nachhinein? Busek war es, der das Wort "Faschismus" gegen Sie im Mund führte ...

Benning: Das ist dokumentiert. Busek war als Oppositionspolitiker dazu angehalten, Opposition zu betreiben, und nicht zur Gänze hinter Friedrich Peter zu verschwinden. Ich sehe das aus der Logik der damaligen Konstellation heraus. Als ich Václav Havel später einmal fragte, was denn der unangenehme Teil seiner Präsidentschaft sei, sagte er: Das Schlimmste sind die neuen Freunde! Die seien ganz schwer zu schaffen.

Für uns hielt damals Fred Sinowatz als Unterrichtsminister den Kopf hin. Ein bemerkenswerter, modern denkender Mann. Nur in der Würdigung der Ära Kreisky kam er so gut wie nie vor. Man musste ja den Eindruck gewinnen, die Kulturpolitik wäre allein von Kreisky zusammen mit André Heller und Peter Turrini gemacht worden. Das Ganze war ein merkwürdiger Vorgang. Personen wandelten sich derart, dass man sie mit dem, was sie zehn, 20 Jahre vorher vertreten hatten, gar nicht mehr in Zusammenhang bringen konnte. Es ist umso merkwürdiger, wenn dieses Phänomen Personen betrifft, die auf ein gewisses intellektuelles Niveau Wert legen. Österreich stand damals auch unter der Wirkung von Ereignissen wie dem Ungarn-Aufstand. Umfragen belegten, dass die Österreicher den Umgang mit Dissidenten gar nicht gut hießen. Die Menschen befürchteten wohl, die Ostblockstaaten könnten schlechte Laune bekommen.

Standard: Fiel die Beurteilung Ihrer Arbeit der österreichischen Innenpolitik zum Opfer?

Benning: Diese merkwürdige Verschiebung ist nur zeitgebunden zu verstehen. Es ist, wenn Sie auf mein Buch schauen, darin auch keine Rezeptur für heutiges Theatermachen enthalten. Als 1978, 1979 die Kampagne der "Kronen Zeitung" gegen uns ihren Höhepunkt erreichte, wurden die Kinder in den Schulen damit belastet. Die Burg werde linksideologisch unterwandert, weil wir Elias Canettis "Komödie der Eitelkeit" spielten. In Rezensionen stand sinngemäß: Warum kritisiert dieser bulgarische Autor Verhältnisse in Österreich, die er nicht kennt?

Standard: Und als er dann 1981 den Nobelpreis bekam?

Benning: Wurde er unser Canetti, der große österreichische Autor. Ich könnte niemals so viel essen, wie ich damals kotzen wollte. (Ronald Pohl, DER STANDARD, Printausgabe, 23.2.2012)