Der Kampf um die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Österreich ist eine unendliche Geschichte, vom Rundfunkvolksbegehren 1966 bis zur jüngsten Protestaktion der ORF-Redakteure. Nach dem Teilerfolg der Verhinderung eines SPÖ-gestützten Büroleiters für den Generaldirektor geht die Auseinandersetzung jetzt in eine neue Etappe: eine Reform der Gremien, insbesondere des Stiftungsrats.

Dieser ist so etwas wie der Aufsichtsrat des Unternehmens. Hier liegt die wahre Macht. Oder besser gesagt: Hier sollte sie liegen. Denn in der Praxis sind es nicht die nominell unabhängigen Stiftungsräte, die über wichtige Personalien und Strukturänderungen entscheiden, sondern nach wie vor die Parteisekretariate. Ein eklatantes Beispiel aus jüngerer Vergangenheit hierfür ist die Nichtbestellung von Gerhard Zeiler zum ORF-Generaldirektor. Der damalige RTL-Chef war nach einmütiger Auffassung der beste Mann für den Job, er wollte ihn auch haben und dafür auf viel Geld verzichten. Der SPÖ-Führung war er zu unabhängig, und sie sagte Nein. Der Stiftungsrat folgte brav und sagte wider besseres Wissen ebenfalls Nein. Vor kurzem ist Zeiler Chef des Riesenkonzerns Time Warner geworden. Dort holt man sich die Besten der Besten. Wieder eine verpasste Gelegenheit für Österreich, eine von vielen. Jetzt basteln die ORF Redakteure im Verein mit Spitzenjuristen an einer Reform. Das Ziel: In den Stiftungsrat sollen unabhängige, qualifizierte, angesehene und integre Persönlichkeiten, die sich allein dem Unternehmen und dem Publikum verpflichtet fühlen. Das ist freilich leichter gefordert als getan.

Wie schreibt man so etwas in ein Gesetz? Auch überzeugte Sozialdemokraten oder Christdemokraten können unabhängig sein und nominell Parteilose abhängig. Anständigkeit und Klugheit sind essenziell, aber schwer in Paragrafen zu definieren. Fachkundigkeit wäre gut. Aber soll man sie zur Bedingung machen? Der nach Ansicht der Mitarbeiter beste Stiftungsrat ist der Caritasdirektor Franz Küberl, kein Medienmann. Die Wurzel der Misere liegt wohl nicht in der Schwäche des Rundfunkgesetzes, sondern in der Schwäche der Zivilgesellschaft. Der Stiftungsrat sollte nach der Intention seiner Erfinder die österreichische Gesellschaft widerspiegeln, neben den demokratischen Parteien auch die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen. Aber in der Praxis lief alles eben wiederum auf die Alleinverantwortung der Parteien hinaus. Auch die Institutionenvertreter versammelten sich in "Freundeskreisen", die de facto auf das Kommando der Parteisekretariate hörten.

Wenn jetzt die ORF-Redakteure wieder einmal eine Unabhängigkeitsoffensive starten, sind sie auf die Unterstützung der Öffentlichkeit angewiesen. Der ORF, hieß es in deren Resolution, gehört nicht den Parteien, sondern den Hörern und Sehern. Ohne diese geht gar nichts. Freilich, viele haben inzwischen das Interesse am österreichischen Immer-noch-Leitmedium verloren. Das ist nicht gut. Eine Demokratie, sagte Abraham Lincoln, kann zur Not ohne Regierung funktionieren, aber nicht ohne freie Presse. Die österreichische Demokratie braucht eine freie Presse. Und sie braucht einen freien ORF. (DER STANDARD; Printausgabe, 23.2.2012)