Aus den letzten Tagen eines Finanzunternehmerlebens anno 1896: Helmuth Lohner als Titelheld von Ibsens "John Gabriel Borkman", an seiner Seite Andrea Jonasson (als Ella Rentheim).

Foto: Reismann

 Das Porträt eines Theatermodemuffels.

Wien - In Ibsens Spätwerk John Gabriel Borkman - ein "gut abgehangenes Stück", wie Regisseur Elmar Goerden sagt - landet ein Bankier, der das Geld seiner Kunden mit Anlagegeschäften verspekuliert hat, im Gefängnis. Bankrotteur Borkman wäre ein Mann der Stunde: Wie alle echten Visionäre glaubt auch er an die Rechtschaffenheit seines Tuns. Er würde, wenn man ihn ließe, das Heil der ganzen Welt befördern.

Borkman, ab 1. März von Helmuth Lohner in einer Produktion des Wiener Josefstadt-Theaters gespielt (19.30 Uhr), kann man sich als modernen Fondsmanager vorstellen. Doch was macht man mit den Verlierern des Kapitalmarktes? Wie rehabilitiert man einen tätigen Menschen, dessen Scheitern angeblich lauteren Motiven entspringt? Borkman verkriecht sich im Haus seiner Schwägerin (Andrea Jonasson). Er wählt das Exil, während Frau und Jugendliebe um den knorrigen Eremiten zanken.

Mit Fragen nach der Brisanz des Stoffes braucht man Elmar Goerden nicht zu behelligen. Als das Etikett des "postdramatischen Theaters" vergeben wurde, duckte sich Goerden (48) einfach weg. Den Borkman auf einen Kommentar zur schwelenden Finanzkrise herunterzubrechen, käme ihm nicht in den Sinn." Ich habe das Stück schon mehrmals als Kapitalismus-Parabel inszeniert gesehen", sagt Goerden. "Nun ist diese Figur aber ein deutlich komplizierterer Charakter: Borkman liegt nichts daran, reich zu werden. Seine Komplexität besteht in der Anmaßung: Er fühlt sich zur Menschheitsbeglückung berufen. Die Erfahrung lehrt aber, dass von Menschheitsbeglückern die größte Gefahr ausgeht."

Goerdens künstlerisches Credo ist der Einspruch gegen die landauf, landab geübte Praxis der "Vergegenwärtigung". Diese meint oft nichts anders als die kannibalische Freude an der mutwilligen Einverleibung eines schwer bekömmlichen Stoffes. Zur angemessenen Erfassung eines Klassikers sei "ein Stück historische Distanz vonnöten". "Man darf nicht so tun", sagt Goerden, "als kämen die Figuren aus dem Vorgarten in der Nachbarschaft."

Viel zu oft mache man die Aktualität bloß am äußeren Erscheinungsbild fest. Bloß, so Goerden: "Mit einem Kostümbild von H&M ist ja noch nichts erzählt! Man erkennt ein Verwandtes nicht daran, indem man postuliert, es sei alles so wie bei uns." Sei es nicht. Goerden: "Da hat es auch keinen Sinn, wenn Borkman mit einem Geldkoffer und drei Handys auf die Bühne schleicht."

Ein Macher wie Goerden wird darum oft mit einem Konservativen verwechselt. Er arbeitete als Oberspielleiter des Münchner Residenztheaters im Schlepptau von Dieter Dorn. Vorher erntete er am Stuttgarter Schauspiel mit fein ausgehörten Arbeiten Verblüffung: So ganz ohne Lärm hatte man Tschechow oder Bernhard schon lange nicht erlebt. Und so sticht Goerden seit den 1990er-Jahren die vielen schlechten Epigonen des zweifellos genialen Frank Castorf mit bemerkenswerter Coolness aus.

Goerden "rockt" nicht. Er bemüht sich stattdessen um Feinfühligkeit. Er sagt: "Etwas 'anders' zu machen ist für mich kein künstlerischer Impuls. Ob ich als Regisseur einen Personalstil besitze, müssen andere beurteilen." Goerden unterscheidet strikt zwischen einem "auktorialen" und einem "interpretatorischen" Regie-Verständnis. Interpretation meine kein Minus an Eigenständigkeit. Es werde jedoch häufig das eine Prinzip gegen das andere ausgespielt: "Dadurch erscheint natürlich das Personalstilprinzip fragwürdig. Aber man entwickelt während vieler Jahre ein theatralisches Alphabet. Und das bedeutet nun gerade nicht, für jede Aufführung ein neues Alphabet erfinden zu müssen."

Bochumer Erfahrungen

Als man Goerden 2005 mit der Würde des Bochumer Schauspielintendanten bedacht hatte, geriet plötzlich der Antriebsmotor ins Stottern. Goerden besaß weder die raffinierte Gefälligkeit seines Vorgängers Matthias Hartmann, noch schwor er sein Haus auf einen bequem vermarktbaren Personalstil ein.

Im dritten Jahr gab Goerden bekannt, seinen Vertrag nicht zu verlängern. Keiner hätte ihn zur Demission gezwungen gehabt, die Verlängerung lag am Tisch. Aber er sei als Regisseur den Intendanten nicht losgeworden, als Intendant nicht den Regisseur. Goerden, mit jedem Zoll kein Borkman: "Wenn Sie keinen Spaß an der Macht haben, dann müssen Sie es lassen!" (Ronald Pohl, DER STANDARD, Printausgabe, 1.3.2012)