"offnature"

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Foto: imagetanz / Manuela Fiala-Schmidtberger

Wien - Eine demokratisch "aufgeklärte" Gesellschaft kämpft um ihre Ethik. Das Festival Imagetanz im Brut-Theater zeigt programmatisch, wie sich dieser Kampf aktuell im zeitgenössischen Tanz widerspiegelt. Zum Beispiel bei dem Wiener Choreografinnen-Trio Deborah Hazler, Nanina Kotlowski & Kerstin Schellander und dem Amerikaner Andros Zins-Browne, die die Ausbeutung des weiblichen und des männlichen Körpers aufs Korn nehmen.

In der Uraufführung ihres Stücks offnature versuchten die jungen Künstlerinnen den voyeuristischen Blick auf den weiblichen Körper auszubremsen. Dabei haben sie es sich nicht leicht gemacht. Sie hätten, wie so oft in der Performancekunst geschehen, mit einer Ästhetik der Verekelung oder des Leidens auftreten können. Oder sie hätten das Klischee des Sexobjekts übertreiben und dadurch konterkarieren können, wie das seit den Nullerjahren bis hin zur Burleske ausgereizt wird.

Hazler, Kotlowski und Schellander haben einen anderen Weg gefunden: das Ironisieren sowohl der Leidensdarstellung als auch des Klischee-Übertreibens. Rückenansichten und Posen des Sichabwendens dominieren den ersten Teil des Stücks. Danach wenden sich die nackten Tänzerinnen ihrem Publikum zu. Sie karikieren das Sichpräsentieren, überwältigen das Peinliche und verwirren den Blick des Voyeurs ohne märtyrerinnenhafte Verunstaltung ihrer Körperlichkeit.

Damit treten sie gegen zwei mächtige Blickregimes an. Gegen jenes der Sex-sells-Pornografie sowieso, aber auch gegen das einer moralisierenden, körperfeindlichen Passionsästhetik. So etwas erfordert viel Mut, vor allem, weil offnature in einer konzeptuellen Form daherkommt, die es im Tanz immer schon schwer hatte. Das Premierenpublikum reagierte mit begeistertem Applaus.Weniger halsbrecherisch, aber genauso schlüssig ließen die Tänzer in Andros Zins-Brownes The Host die Luft aus der Testosteronfabrik des Westernmythos.

Das zweite Stück dieses Imagetanz-Doppelabends bleibt trotzdem männlich. Da wird nicht an der bekannten Androgynitätsmasche genestelt, sondern schlicht das Auftrumpfen des heldisch verklärten, gewalttätigen Gockels zu Fall gebracht: Drei Cowboys versuchen in einer künstlichen Landschaft aus großen, aufgeblasenen Gummipölstern zu einer Haltung zu finden. Das ist wirklich schwer.

Denn es geht darum, eine neue maskuline Identität in das Wanken des alten Macho-Stereotyps zu bringen. Bei The Host röhren die Luftpumpen. Die Männer unter ihren Stetsonhüten mühen sich ab, in und auf ihrer instabilen, monströsen Landschaft zu tanzen. Sie scheitern. Und so besteht ihre große Arbeit schließlich darin, die Pumpen von ihren Schläuchen zu trennen, die Luft aus dem ganzen Blähwerk wieder herauszupressen, der großen Aufblasmännlichkeit etwas entgegenzusetzen. Wie das ausgeht, wird offen gelassen.  (Helmut Ploebst / DER STANDARD, Printausgabe, 8.3.2012)