Lulu (Katharina Vötter) umkreist von den Männern.

Foto: Christian Brachwitz

Linz - Sollte je ein Preis für die am schwersten zu besetzende weibliche Hauptrolle am deutschsprachigen Theater vergeben werden, er sollte an Lulu gehen. An dieser Rolle einer Mädchenfrau, die einfach wie sie ist, geliebt werden und ihre eigenen moralischen Grenzen bestimmen will, sich gleichzeitig prostituiert und dabei stets aggressiv-leidend unentdeckt in ihrer Seele bleibt, kann man allzu leicht scheitern.

Man kann aber auch brillieren wie Katharina Vötter. Gleichermaßen intensiv drückt sie Raserei, Wollust, kindliches Ringen nach Liebe und Scheitern an Körperlichkeit aus. "Selbstverständlichkeit, Ursprünglichkeit und Kindlichkeit" haben Frank Wedekind auch bei der Beschreibung seiner Lulu vorgeschwebt. Gerhard Willert nimmt sich der 1894 fertiggestellten Urfassung an, da sie "viel direkter" sei und "ohne Wölkchen" auskomme. Diese Fassung wurde zu Lebzeiten des Autors in ihrer Gesamtheit nie öffentlich aufgeführt, dabei hat schon die entschärfte Version bei ihrer Uraufführung 1913 Proteste und Zensur ausgelöst.

Lulu, die als Kind von ihrem Zuhälter-"Vater" Schigolch (Vasilij Sotke) an Dr. Schöning (Stefan Matousch) verkauft wurde, sterben die arrangierten Ehemänner unter dem schönen Körper weg. Dr. Goll (Sven-Christian Habich) an Schlaganfall, Maler Eduard Schwarz (Björn Büchner) bringt sich um, den dritten - Dr. Schön - erschießt sie aus Versehen, nachdem er sie zum Selbstmord zwingen wollte.

Es folgt der freie Fall - Flucht, Verarmung und Ermordung, die Andrea Pitz angenehm zurücknehmend bebildert: eine riesige Stoffbahn, die Wand und Boden erfüllt, ein Kanapee, das davon überdeckt wird und das Fallen der unterschiedlich farbigen Stoffbahnen jeweils am Ende eines Akts reichen aus, um Lulus Abstieg zu thematisieren. Dreieinviertel Stunden dauert die Aufführung - eine Zeitspanne, die sowohl dem Publikum als auch dem durchwegs großartigen Ensemble einiges abfordert - allerdings verflacht das anfangs hochkonzentrierte Spiel nach der Pause etwas. Dennoch eine absolut sehenswerte Bearbeitung, auch weil sie eingebettet in Wedekinds Sprache und Zeit bleibt und nicht versucht, dem Stoff zwanghaft Aktualität beizubringen. (Wiltrud Hackl, DER STANDARD, 20.3.2012)