Jakob Augstein
Die Tage des Gärtners
Vom Glück, im Freien zu sein
Illustriert von Nils Hoff
272 Seiten
ISBN-10: 3-446-23875-1
ISBN-13: 978-3-446-23875-6
€ 18,40 (A)

Foto: Hanser Verlag

Gartenarbeit ist Glück des unmittelbaren Erfolgs oder des unmittelbaren Scheiterns.

Das Scheitern ist nichts Schlimmes, denn man weiß, dass immer eine neue Saison kommt.

Standard: Herr Augstein, der Frühling ist da. Was werden Sie zuerst im Garten unternehmen, wenn's jetzt losgeht?

Augstein: Ich will das Entenschloss, das ich im vergangenen Jahr gebaut habe, mit einem Zaun umfrieden, der hoch genug ist, dass der Fuchs nicht reinkommt. Füchse springen ja wahnsinnig hoch. Dann werde ich Laufenten besorgen, das ist das Projekt dieses Jahres (Anm.: Betrachtungen über Laufenten spielen im Buch eine entscheidende Rolle).

Standard: Ihr Garten-Buch hat einen philosophischen Anspruch. Sie werden nicht müde zu betonen, dass der Garten kein Ort der Natur ist und der Gärtner ein Mensch, der permanent Ordnung schafft. Was unterscheidet den Gärtner eigentlich von einem Feldherrn?

Augstein: Na ja, der Vergleich ist ein bisschen martialisch. Feldherrenschaft sollte sich der Gärtner nicht anmaßen, er muss sich der Natur ja auch anschmiegen. Der Garten ist die Zone des Übergangs zwischen dem Haus und der freien Natur, wo menschliches Ordnungsstreben auf natürliche Gegebenheiten trifft. Feldherren streben bekanntlich den Endsieg an. Den kann es im Garten glücklicherweise nicht geben.

Standard: Was wäre das Gegenteil vom Gärtner? Der Finanzspekulant?

Augstein: Sie können den Garten nicht moralisch aufladen. Auch Bankiers können Gärtner sein, auch böse Menschen singen Lieder. Die komplementäre Figur zum Gärtner ist eigentlich der Bauer, denn er hat ein funktionales Verhältnis zur Natur, kein ästhetisches. Der Gärtner will immer auch Künstler sein.

Standard: Ich dachte an den Finanzspekulanten, weil der nicht arbeiten will, um zu ernten ...

Augstein: Ach, es ist ein allgemein kindlicher Wunsch, mit möglichst wenig Aufwand viel Ertrag zu haben. Wir müssen eben schmerzhaft lernen, dass von Nichts auch nichts kommt. Ich halte den Garten für einen Ort der Reifung, weil man in ihm Geduld und Demut lernt. Man hat mir gesagt, diese Auffassung sei ganz schön konservativ. Da musste ich lachen, denn ich finde, dass die politische Kategorisierung in diesem Punkt vollkommen fehlgeht.

"Glück außerhalb des Büros"

Standard: Sie wollen in Ihrem Buch vom Glück der nicht entfremdeten Arbeit erzählen.

Augstein: Vollkommen richtig. Gartenarbeit ist das Glück außerhalb des Büros, außerhalb der Institutionen. Sie ist auch Glück des unmittelbaren Erfolgs oder des unmittelbaren Scheiterns. Das Scheitern ist ja nichts Schlimmes, es ist eine Etappe, denn man weiß, dass immer eine neue Saison kommt. Das macht den Garten zu einem so schönen Ort: Man verliert nie ganz. Bei uns Menschen geht alles linear aufs Ende zu, aber dem Garten ist das egal, er ist zyklisch. Man kann sich da hineinfügen und sich eine Zeit lang über die eigene Endlichkeit hinwegtäuschen.

Standard: Das klingt nach romantischem Eskapismus. Wie verhält sich denn der Garten zur Welt?

Augstein: Der Gartenzaun symbolisiert die Grenze zwischen innen und außen, und genau um dieses Spannungsverhältnis geht es. Wir müssen uns nach innen zurückziehen können und innen Ordnung schaffen, um nach außen wirken zu können. Ohne das Äußere ist der Garten vollkommen sinnlos. Daher ist der Garten zwar ein Ort des Eskapismus, aber auch ein politischer Ort. Beides gleichzeitig. Das ist doch toll, oder?

Standard: Der Garten ist aber auch ein Sinnbild für das bürgerliche Subjekt und sein Eigentum. Was halten Sie von "Urban Gardening"?

Augstein: Was ist denn das?

Standard: Beim "Urban Gardening" bepflanzt die Bevölkerung den öffentlichen städtischen Raum. Das wäre sozusagen das sozialistische Pendant zum Garten ...

Augstein: Ja, toll. Find ich nur gut.

Standard: Aber können Sie sich wirklich vorstellen, dass jeder da herumpflanzt?

Augstein: "Prinzessinnengärten" ... ich google das gerade. Nein, das ist nicht mein Ding. Da können Sie ja kein eigenes Design entwickeln und Strukturen schaffen, etwa: Ich pflanze hier Krokusse oder andere Frühjahrsblüher, und dann kommen die Tulpen, und dann fangen die Rosen an zu blühen, und dann übernehmen die Herbstanemonen. Wildes Bepflanzen ist sicher gut für urbane, graue Flächen, aber es hat mit meiner Vorstellung von Garten nichts zu tun.

Verantwortungsbeziehung

Standard: Weil Ihr Konzept von Garten am Eigentum hängt.

Augstein: Ob der Garten mir gehört oder nicht, spielt keine große Rolle. Aber er muss geschützt bleiben, ich muss eine Verantwortungsbeziehung herstellen können. Wenn zwischendurch 50 Leute da durchmarschieren und etwas ganz anderes pflanzen, dann haut das nicht hin. Ich will nicht meinen Zaun verteidigen, aber ein Garten braucht Zeit, und Zeit braucht Berechenbarkeit. Ich glaube, in diesem Fall ist Eigentum eine Voraussetzung dafür.

Standard: Apropos Zeit: Sie buddeln ein riesiges Teichloch aus, Sie rutschen quadratzentimeterweise auf den Knien herum, um den Giersch auszureißen, Sie bauen ein Schloss für Ihre Laufenten. Wann machen Sie das eigentlich?

Augstein: Die meiste Zeit hat die Anlage des Gartens geschluckt, das war in den Jahren 1998 bis 2003. Heute bin ich in Wahrheit nur eine halbe Stunde am Tag draußen. Und das kriegen Sie wirklich immer hin. Der Garten ist ja fertig angelegt. Es gibt natürlich die arbeitsreichen Tage im Herbst, wenn ich Zwiebeln pflanze. Einmal in der Woche kommt für fünf Stunden auch eine Gärtnerin, die mäht den Rasen und harkt totes Zeug weg. Das können Sie sich jetzt ausrechnen: Wenn Sie rund zehn Stunden pro Woche in den Garten investieren, dann geht das schon.

Standard: Ich finde, Ihr Buch klingt ziemlich männlich. Sie erzählen davon, wie Sie sich die Manufactum-Axt ins Knie hauen und die Wunde mit Schnaps behandeln. Überhaupt haben Sie diese Detailverliebtheit in technischen Fragen und behaupten, Hacken sei männlich, Sägen weiblich .. .

Augstein: Das hat Handke gesagt.

Standard: Echt? Aber Sie zitieren es.

Augstein: Ich fand's lustig.

Standard: Was unterscheidet den Gärtner von der Gärtnerin?

Augstein: Nichts. Ich glaube, in Wahrheit ist es vielleicht sogar andersherum, nämlich dass Gärten eine Sache für alte Frauen sind. In meinem Buch beschreibe ich die alten Damen in meiner Nachbarschaft, die so leicht gebückt von Pflanze zu Pflanze gehen. Der Garten will ja, dass Sie genau hingucken. Man muss Zeit und Ruhe haben für den Blick auf Details. Ich glaube, was Ihnen männlich vorkommt, ist eine Konstruktion, eine Pose, auch ein kokettes Spiel. Aber im Kern ist das, worum es im Garten geht, geschlechtsneutral.

Standard: Sie haben im Jahr 2008 die Wochenzeitung "Freitag" gekauft und vollkommen umgestaltet. Ist der "Freitag" auch ein Garten?

Augstein: Unbedingt! Vor allem der Online-Freitag ist wie ein Garten. Die Analogie passt für das Internet perfekt, denn es geht ja hier um die Idee des Wachstums, der großflächigen Strukturen und um die Pflege und Arbeit, die man hineinstecken muss. Man kann auch hier die Dinge nicht sich selbst überlassen. Gärtnern wäre gleichzusetzen mit der Kommunikationsarbeit des Menschen im Netz, die eben auch Früchte trägt.

Standard: Nur dass diese Arbeit nicht draußen ist, in der Natur.

Augstein: Stimmt. Aber drinnen kann genauso groß sein wie draußen. (Andrea Roedig, Album, DER STANDARD, 24./25.3.2012)