Frisch geschlachtetes Huhn soll das Beste sein, behaupten zumindest die Chinesen, seit mehreren Wochen war ich daher auf der Suche nach dem Frischfleisch. Noch viel länger schon versuche ich, einen Hahn in die Finger zu kriegen, um einen Coq au Vin zu versuchen, der diesen Namen auch verdient – bisher vergeblich. Der Hahn ist im Zeitalter des Kükenschredderns fast ausgestorben. Nun aber ist es mir geglückt, gleich beides auf einmal zu erledigen.

Verdanken tue ich das Simon Xie Hong, bekannt als Silent Cook des ORF, von mir höchst geschätzt als Chef der ChinaBar und des On in Wien. In Ersterer gibt es schmeichelnde Schmorgerichte, in Zweiterem vor allem großartige Vorspeisen. Herr Xie Hong ist aber bekannt dafür, dass er vor allem die dunkle Seite des Tiers gern und gut verkocht. Von den vier Hähnen, die wir frisch aus dem Waldviertel geholt haben, ist also nicht viel übrig geblieben – ein Fest der Konsistenzen!

Foto: Tobias Müller

Jetzt ist ein Hahn nicht das zarteste aller Tiere. Unsere waren zudem höchstwahrscheinlich schon mindestens ein Jahr alt, nach der Knochendicke zu schließen. Ihre Brüste sind äußerst klein und trocken, zum Braten ist das Tier also, im Gegensatz zu seinem weiblichen Konterpart, eher ungeeignet.

Und auch sein Geschmack hat mit dem des Huhns nicht viel gemein. Ich weiß nicht, ob es nur am Hahn lag oder ob auch die frische Schlachtung mit hineingespielt hat; sein Fleisch hat jedenfalls erstaunlich animalisch, herb geschmeckt, halb Huhn, halb Bulle, ein Geschmack, dem nur eine kräftige Sauce gerecht wird und den man mögen muss.

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Herr Hong hat ihn chinesisch, also samt Knochen, zerteilt und dann die Beine und Brüste im Reiswein mit einigem Gewürz aufgesetzt: Zitronengras und getrocknete Mandarinenschale (die muss nach einer halben Stunde raus, weil sie sonst bitter wird), Fenchel, Chilischoten und Lorbeerblatt, ein Schuss Sojasauce und vergorene Reisweinmaische, die eine wunderbare rote Farbe hat und verführerisch alkoholisch duftet.

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Parallel hat Herr Hong die Suppe aufgesetzt, mit Flügeln, Füßen und was sonst noch so vom Hahngestell übrig war. Gewürzt wurde sie ebenfalls mit Zitronengras. Nach etwa zwei Stunden sind die Füße dann rüber in den Reisweintopf gewandert, um dort noch etwas Geschmack zu ziehen, bevor wir sie abgenagt haben. Ein paar Mägen (gesplittet zwischen Suppen- und Eintopftopf) sind ebenfalls reingewandert.

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Weil das Hahnfleisch mindestens drei Stunden schmoren muss, hat der geneigte Geflügelesser jede Menge Zeit, die anderen Teile zu genießen.

Begonnen haben wir mit den Kämmen und den Hautlappen neben dem Schnabel, deren korrekte anatomische Bezeichnung mir nicht geläufig ist.

Herr Hong hat sie mit Fenchel, Chili, Trüffelhonig, Ingwer und Sojasauce gebraten, mit etwas Suppe aufgegossen und einkochen lassen – mein persönliches Highlight des Menüs. Der Eigengeschmack hät sich in Grenzen, das hat hauptsächlich die süßscharfe Sauce uebernommen, die Kämme steuern ihre tolle Konsistenz bei: weich, aber doch bissfest, ein wenig wie Weingummi.

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Es folgte: Hahnenblut-Suppe. Dafür muss man beim Schlachten das Blut auffangen, mit etwas Salz verrühren und ruhig stehen lassen, bis es gerinnt und zu einer Art Pudding stockt. Diese Masse hat Herr Hong kurz im Wok blanchiert.

Anschließend lässt sie sich in kleine Würfel schneiden wie Tofu. Mit ebendem, dem Grün des jungen Knoblauchs und einem Schuss Fischsauce wird es als Einlage in die Hühnersuppe geschmissen. Es schmeckt zart mineralisch und erinnert in der Konsistenz an sehr weichen Tofu, beim Kauen quietscht es fast zwischen den Zähnen.

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Die Herzen, Lebern und Milzen wurden, damals noch jahreszeitadäquat, mit Bärlauch kurz gebraten.

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Das inzwischen weich gekochte Flügelfleisch hackte der Gastgeber für zwischendurch zu einem Salat mit jeder Menge Ingwer und ein wenig Chili.

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Wer mitgezählt hat, weiß, was jetzt noch übrig ist: die Hoden. Für Laien wie mich: Hahnenhoden sind ganz erstaunlich groß. Wären sie beim Menschen proportional entwickelt, sie würden an Zuckermelonen herankommen. Ein Hahn hat üppigere Testikel als etwa eine Ziege, fast in der Dimension eines Überraschungseis.

Wie alles an dem Tier schmecken sie kräftiger als bei anderen, sind im Mundgefühl aber gewohnt schmeichelnd-cremig mit etwas Biss. Herr Hong hat uns Ei mit Ei serviert, nicht kurz gestockt, sondern gut durchgebraten, so dass zwar etwas die Cremigkeit gelitten hat, sich das Ei dafür aber richtig mit den Gewürzen vollgesogen hat. Für Geschmack sorgten Reiswein, Sojasauce, Thymian und Lavendel.

Foto: Tobias Müller

Der Schmortopf wurde nun zwecks süßen Beigeschmacks mit einigen Karotten bestückt und dafür um die Füße erleichtert. Ich habe bisher nur einmal auf einem taiwanesischen Nachtmarkt die Ehre gehabt, an einem Hühnerfuß zu nuckeln, und war eher enttäuscht; das Teil war etwas zäh und hat hauptsächlich nach der Sojasauce geschmeckt, in der es vor dem Kauf getrieben ist.

Herr Hong aber hat ihnen das würzige Aroma des Reisweinsuds verliehen, das sich mitsamt der klebrig-gallertigen Haut herunternagen ließ.

Foto: Tobias Müller

Als dann der Hauptgang aufgetragen und mit etwas Tofu und Frühlingszwiebeln verfeinert wurde, war ich bereits ziemlich satt. Die Haxerln waren saftiger und gelatinehaltiger als das Durchschnittshuhn, den herben Geschmack habe ich oben schon beschrieben.

Foto: Tobias Müller

Für genauere Beschreibungen reicht die Erinnerung leider nicht mehr, generell gilt aber: Was Simon schmort, wird immer gut. Einen Teil seines Wissens teilt er seit kurzem hier mit der Welt.
Die Versuche mit frisch Geschlachtetem sollen noch weitergehen. Ob's wirklich zarter ist, lässt sich nach dem Schmoren, noch dazu beim Hahn, nicht sagen.

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In eigener Sache: In den nächsten Wochen werde ich keine aktuellen Beiträge liefern können. Den Gruß aus der Küche wird es zwar auch dann geben, die Einträge werden sich aber mit mehr oder weniger zeitlosen Dingen befassen. (Tobias Müller, derStandard.at, 22.4.2012)