Prototyp des Tisches "Baghdad", den Ezri Tarazi für Edra entworfen hat. Auch er ist in Kürze bei mood in der Wiener Schleifmühlgasse zu sehen.

Foto: Hersteller

Seit zwei Jahren ist Israel um ein museales Gehäuse reicher: eine rote Design-Schnecke, behutsam eingerollt von Ron Arad. Der Bilbao-Effekt - Stichwort Guggenheim Museum - und der damit verbundene Ansturm von kulturinteressierten Touristen ist Holon, dem unmittelbar südlich von Tel Aviv gelegenen Städtchen, zwar verwehrt geblieben. Doch um einen Meilenstein für die israelische Designszene handelt es sich beim Design Museum Holon allemal. Oder sagen wir lieber: um einen forcierten Schritt in Richtung Design. Die Metapher mit der roten Schnecke führt dabei freilich in die Irre. Gilt doch eher das Gegenteil: Koscheres Design made in Israel befindet sich heute längst auf der Überholspur.

Dass mit dem gebürtigen Tel Aviver Arad eine internationale Überfigur der Designszene mit dem Bau beauftragt wurde, ist dabei kein Zufall. Schließlich buchstabiert sich Arad wie London und London wie Networking. Und regionale Bezüge will man in Holon hinter sich lassen - wenngleich gerade diese den Output vieler israelischer Designer auf eine ganz besondere Weise stimulieren.

Mehrere Wahrheiten

Da wäre zunächst einmal jenes politisch motivierte Element, das im zeitgenössischen Design nur selten eine Rolle spielt und das östlich des Mittelmeers zugleich eine permanente Ausnahmesituation widerspiegelt. Spätestens seit Ezri Tarazis emblematischem "Baghdad Table", der als Referenz auf die politische Situation des Nahen Ostens gelesen werden kann, indem er aus einer toleranten Weltsicht heraus unterschiedlich extrudierte Alu-Profile zur Luftansicht Bagdads kollagiert, hat diese besondere Design-Facette eine - mittlerweile vom italienischen Avantgarde-Label Edra produzierte - Möbelikone gefunden.

Die dahinter verborgene Message - O-Ton Tarazi: "Der Verweis auf die Tatsache, dass mehrere Wahrheiten koexistieren können" - ist dabei ebenso unübersehbar wie das dezidiert supranationale Verständnis, das ähnliche Arbeiten definiert. Vom selben Designer stammt das aus diversen Nationalflaggen zusammengestückelte Sofa "Crowded". Während sich Tarazis Sessel "DeFocus" aus "Jerusalem"-Ortsschildern in drei Sprachen zusammensetzt.

Flexible Designszene

Als Lehrer am Shenkar College of Engineering - neben der Jerusalemer Bezalel-Kunstakademie und dem Holon-Institut für Technologie eine der drei relevanten Ausbildungsstätten des Landes - ist Ezri Tarazi mit noch einer ganz anderen Design-Realität vertraut: nämlich jenen, angesichts eines Landes mit hochentwickelter Kunststoff- und Hightech-Industrie, mitunter erstaunlich bescheidenen Produktionsbedingungen, die israelische Designer eben jene Flexibilität lehrte, die nun einer ganzen Entwerfergeneration als kollektives Markenzeichen anhaftet.

Querköpfig, unangepasst, mit viel Sinn für humoristische Seitenhiebe ausgestattet - so machten junge israelische Designer im Rahmen internationaler Design-Shows in Mailand, London oder New York zuletzt auf sich aufmerksam. Witz als Mittel des Design, wohl auch als archetypische Haltung im jüdischen Umgang mit Unzulänglichkeiten, kommt dabei selten zu kurz. Pini Leibovichs mitunter bizarre Entwürfe - ein Stuhl seiner Kollektion "Happy Materials" besteht ausschließlich aus Luftballons - sorgen auf diese Weise für frischen Wind. Ähnliches lässt sich wohl auch über das junge Tel Aviver Design-Kollektiv Reddish sagen, das Holztische wie Häute digital tätowiert - und damit in Individuen verwandelt (Tisch "Yakuza").

Charme des Improvisatorischen

Wo die kulturelle DNA des Ortes einfließt, ist der Zugriff auf Symbole selten weit entfernt: etwa wenn Reddish den siebenarmigen Menora-Leuchter in ein internationales Sammelsurium aus gebrauchten Kerzenhaltern rückbauen - oder sich das Lebensbaummotiv über den Umweg der Kunststoff-Gussform in eine stehende Obstschale verwandelt ("Still Life" von Umamy Design Group).

Mehr Abstand täuschen die jüngsten Design-Shootingstars aus Israel da zumindest vor: Shay Alkalay und Yael Mer, beide 1976 in Tel Aviv geboren, gemeinsam Begründer des erfolgreichen Londoner Designstudios Raw-Edges, zählen längst auf die Kooperation mit hervorragenden Labels - aber auch auf eine durchgängige Handschrift, die viel Leichtigkeit versprüht, und den schon skizzierten Charme des Improvisatorischen. An die Wand gelehnte Klapp-Sideboards für Arco fallen in diese Kategorie, ebenso wie die ambulante Optik der stapelbaren Schubladen "Stack" für Established & Sons. Für den Fall, dass plötzlich doch wieder alles anders ist. (Robert Haidinger, Rondo, DER STANDARD, 20.4.2012)