Foto: Angela Bedekovic

Wien - In Zeiten der Verunsicherung tauchen wieder große Begriffe auf. So geht es in der Wiener Tanzszene gerade um nichts weniger als um Natur und um Liebe: Die Gruppe Nadaproductions um Amanda Piña und Daniel Zimmermann zeigt im Brut Theater Künstlerhaus ihre neue Performance nature und Michael O'Connor mit Brandon Gonzalez im Wuk A General Theory of Love. Sie tun das mit ganz unterschiedlichen Konsequenzen.

Piña und Zimmermann greifen tief in die Ethno-Kiste der Gegenwart. Dort finden sie archaische Stammeskultur-Relikte in den Riten der "modernen" politischen Administrationen. Als Anspielung darauf wird im Stück ein neues Bewegungsministerium gegründet. Sogar der österreichische Bundespräsident ist im Video mit den Künstlern zu sehen. Und sie finden noch etwas: den europäischen Blick auf das Exotische. Einen gespaltenen Blick, der eiskalt Möglichkeiten zur Beseitigung von humanen Hindernissen für den Rohstoffabbau sondiert oder aber tränentrüb wird ob des Adels archaischer Lebensweisen.

In nature wird dieser schreckliche Blick nach Strich und Faden abgestraft. Aber nicht anklagend, sondern ironisch. Nadaproductions gibt vor, sich auf eine große Reise zu den Ureinwohnern des Amazonasgebiets aufgemacht zu haben. Dafür werden Video-Interviews mit Stammesvertretern eingespielt, deren Untertitelung zuweilen Zweifel an der Übersetzung aufkommen lässt.

In der Liveperformance findet ebenfalls Dokufiktion statt. Da wird erzählt, getanzt und ein bitterer Tee gekocht. Zusammen mit Valerie Oberleithner und Raphaël Michon veranstalten Piña/Zimmermann Rituale, bemalen einander (der Film Avatar lässt grüßen), singen schön und strapazieren auch das Theremin. Der bittere Tee geht an das Publikum. Damit man auch schmeckt, was Sache ist. Auf ureinwohnerische Anregung findet ein Grastanz gegen die wirtschaftliche Überproduktion statt. Und in Abwandlung von Stéphane Hessels Buchtitel heißt es schließlich: "Indigenéz-Vous!"

Die Liebe in der Krise 

Während das Naturthema zur politischen Performance reizt, bleibt die Liebe bei Michael O'Connor eher privat. Daher wirkt die General Theory of Love, in der Inertia DeWitt so berührend singt wie O'Connor und Gonzalez gefühlvoll zärtlich tanzen, wie eine eher praktische Antwort auf die Krise der romantischen Liebe. Mit Worten aus einem Interview mit US-Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman durchzogen, wird die sensible Poesie des Stücks zu einem Statement, für das Hessel abermals abgewandelt werden könnte: Berührt euch!

Eine schöne Idee. Und doch kommt diese allgemeine Theorie der Liebe letztlich allzu speziell daher. Dadurch wird sie zu einem jener ganz normalen Tanzduette, wie es sie zu Tausenden gibt. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 28./29.4.2012)