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Mehr als zwölf Wochen hält der heftige Protest gegen die progressive Anhebung der Studienbeiträge in Quebec an. Die Atmosphäre ist zunehmend angespannt.

Foto: Reuters/Belanger

1625 kanadische Dollar mehr an Studiengebühren pro Trimester, das war der Funke im Pulverfass. In Quebec wird nur noch von Streik gesprochen. Die liberale Regierung hebt die Studienbeiträge progressiv an. 2017 würden Studierende demnach um 75 Prozent mehr zahlen müssen als derzeit.

Die französischsprachige kanadische Provinz steht heute vor einer der größten Protestbewegungen ihrer Geschichte und ebenso vor einer politischen Sackgasse. Seit einigen Wochen kommt es immer wieder zu energischen, handgreiflichen Zusammenstößen zwischen der Polizei und den Studierenden.

Der Protest wird sichtbar ausgetragen: Die Sympathisanten der Bewegung tragen ein rotes Quadrat an ihrer Kleidung. Das rote "carré" steht für "être carrément dans le rouge" - stark in den roten Zahlen, sprich verschuldet zu sein. Die Befürworter einer Anhebung der Studienbeiträge tragen grüne Quadrate. Sie zeigen sich diskreter, im Internet und in einigen Medien liest man aber ausgiebig über ihren Ärger über den großflächigen Protest.

Angespannte Atmosphäre

An die 180.000 Menschen befinden sich derzeit in einem unbefristeten Generalstreik. Und die Bewegung beweist langen Atem.

Ende März stimmten 300.000 Studierende für das Einstellen des Uni-Betriebs. Fast 200.000 Demonstranten zogen durch Montreal - die zweitgrößte Demonstration in der Geschichte von Quebec.

In Anlehnung an den Arabischen Frühling spricht man hier vom "Printemps Érable", dem "Frühling des Ahorn".

In zwölf Wochen stieg die Spannung zunehmend und auf allen Ebenen. Die Studierenden sind wütend, nicht angehört zu werden, und bereit, dies laut- stark kundzutun: Täglich gibt es neue öffentliche Kundgebungen, künstlerische Performances, friedliche Demonstrationen und Zeichensetzungen für zivilen Ungehorsam. Per Social Media organisiert sich der Protest horizontal und in Echtzeit. Da es sich um eine rechtmäßige Bewegung handelt, haben die Aktivisten Hilfe von vielen Seiten. Sie haben Zugang zu den Universitäten und müssen sich nicht versteckt organisieren.

Ein Kollektiv kocht bis zu 400 Portionen vegetarisches Essen täglich und verteilt sie gratis an die Demonstranten. Das Motto: Die Welt verändern macht Appetit.

Dennoch mussten 71 Tage vergehen, bis die Regierung bereit war, Studierendenvertreter zum Gespräch zu treffen. Sie bleibt, was die Anhebung der Studienbeiträge betrifft, unflexibel. Offen zeigt sie sich für die Verbesserung des Stipendien- und Studienkreditesystems. "Wir wollen studieren, nicht uns verschulden", ist die Antwort der Studenten.

Für einzelne Universitäten wurden bereits gerichtliche Anordnungen erlassen, um die Rückkehr in den Hörsaal zu erzwingen.

Auch die Polizei steht ob der Menge und Vielfalt der Aktionen unter Spannung. Seit einigen Tagen kommt es zu riesigen nächtlichen Demonstrationszügen.

Letzte Woche wurde das Konservatorium für Musik besetzt. In Massen fanden sich Polizisten vor Ort ein, überall waren Kameras. Die Atmosphäre war angespannt.

Doch als die Studierenden gregorianische Gesänge anstimmten, konnte die Besetzung mit einem Lächeln weitergeführt werden. Die Polizisten machten schließlich Witze über die Studenten, die jonglierend protestierten, und eine Diskussion wurde möglich.

Nach den Spannungen der letzten Tage ist ein beruhigender gregorianischer Choral genau das Richtige, wenn sich Polizei und Studierenden gegenüberstehen. (Justin Lapointe aus Quebec, UniStandard, DER STANDARD, 3.5.2012)