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Deftige Leidenschaften und eine scheiternde Verschwörung gegen den herrschenden Titus: die meisterhafte Elina Garanca (als Sesto) mit Juliane Banse (als Vitellia).

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Wien - Demontiert ist all der imperiale Prunk: Gerade einmal drei flatternde Hängewände, unter anderem mit Bücherregalen und zerschlissenen Salontapeten patchworkartig bemalt, bilden den Rahmen für eine Studie der um Gerechtigkeit ringenden, vereinsamten Macht. Trostlos und enigmatisch wirkt das. Und wo man hier eigentlich gelandet ist, wird durch den üppigst eingesetzten Trockeneisnebel und die hinten sich aufbauende bunkerartige Mauer, vor der bisweilen eine Art Lounge auftaucht, natürlich auch nicht klarer.

Vielleicht wurde Regisseur Jürgen Flimm für das Raumrätsel (Bühnenbild: Georg Tsypin) durch seine jetzige Berliner Situation inspiriert. Er steht ja der Staatsoper unter den Linden intendantenartig vor, die ihre sieben Opernsachen (wegen nun laufender Renovierungen) zusammenpacken musste und ins Schiller Theater auswich. Das wäre dann quasi an der Wiener Staatsoper eine "Theater im Theater"-Situation, und man würde eine Bühne auf der Bühne erspähen, auf der knapp vor dem Umzug noch eine Vorstellung gegeben wird. Oder aber Flimms Ideen wären ob der Schuldenkrise und deren Kulturfolgen nach Italien gewandert, wo ein zu schließender Kulturtempel irgendwie doch Titus spielt.

Ambiente als Gegner

Gesichert ist zumindest: Es ist Mozarts La Clemenza di Tito in die Gegenwart gehievt worden; und Flimms Version ist geprägt von der Konzentration auf die Figuren. Ein schönes Ansinnen, das im kargen Ambiente zunächst allerdings einen mächtigen Gegner hat, der im ersten Akt reichlich Energie und Atmosphäre neutralisiert. Im zweiten Akt, nachdem man sich bezüglich räumlicher Dürftigkeit wohl in Gleichgültigkeit gehüllt hat, kommt es immerhin zu atmosphärischen Verdichtungen - und dies hat auch mit der präzisen Arbeit von Flimm zu tun.

Hilfreich stehen Flimm versierte Könner wie Elina Garanca zur Verfügung, die auch auf gänzlich kahler Bühne für Dramatik und einen gewissen Zauber gesorgt hätten.

Besonders Garanca war an diesem Abend die unüberbietbare komplette Sängerin. Ihr Mezzo kennt keine Schwächen, er hat in jeder Lage Präsenz, ist im Piano tragfähig und klangvoll wie im Forte; es stehen ihm auch alle lyrischen wie dramatischen Ausdrucksfacetten kultiviert zur Verfügung. Und auch die Koloraturen wirken geschmeidig, wie überhaupt jede Note ansatzlos, wie aus dem Nichts, zu kommen scheint - welch dynamische Erfordernisse es auch zu erfüllen gilt.

Tolle Konfrontation

Hinzu kommen Garancas Musikalität und Spielkünste, was der Rolle des zwischen Zuneigung zur einen Umsturz planenden Vitellia und der Freundschaft zu Titus zerrissenen Sesto Theaterflügel verleiht. Besonders in jener Szene, da im zweiten Akt Sesto mit Titus konfrontiert wird, nachdem der Verrat aufgeflogen ist, entsteht packende Tragik.

Auch dank Tenor Michael Schade. Sein Titus ist der gerade einer mörderischen Gefahr entronnene Monarch, dessen Vertrauen in die Umwelt auf der Strecke geblieben ist und der durch eine Befragungen Sestos versucht, Auswege aus dem Drang nach Rache und Bestrafung zu finden.

Grandios gelingt es Schade, die Zerrissenheit der Figur auszudifferenzieren. Er gibt einen Herrscher, dem aller Vertrauensboden unter den Füßen weggezogen wurde. Er ist das zürnende, ruhelose Individuum. Schade, der an sich selbst gemessen etwas an lyrischer Qualität und Selbstverständlichkeit eingebüßt hat, schafft es dann schließlich auch vokal, dieser Figur Markanz und Subtilität zu verleihen.

Mit Intensität wäre die Performance von Juliane Banse gut umschrieben. Als Vitellia hat sie anspruchsvollste vokale Linien zu bewältigen (was sie, an der Intonation war es zu merken, auch an ihre Grenzen führt), die sie jedoch gekonnt in theatrale Energie umzuwandeln versteht. Da können die tadellose singenden Chen Reiss (als Servilla), Serena Malfi (als Annio) und Adam Plachetka (als Publio) schwer mithalten.

Im Orchestergraben herrscht eher asketische, etwas zu flach und karg klingende Diktion. Dirigent Louis Langree setzt auf mehr sprechende als singende Stilistik, was zwar für prägnante Akzente sorgt und im Sinne der Bühnendramatik ist. Für diese Staatsoperndimensionen hätte es jedoch etwas mehr Klangfülle bedurft, um die ästhetische Botschaft auch rüberzubringen. Buhs für Flimm. (Ljubiša Tošić, DER STANARD, 19./20.5.2012)