Karlsson über die Baustellen in der Kinderbetreuung: "Schlimm ist die in Österreich immer noch vorherrschende Rollenfixierung."

Foto: STANDARD/Urban

Was in die Deutschland Kinderläden heißt, waren und sind in Österreich die Kindergruppen. Eine der Pionierinnen der elternverwalteten Kinderbetreuung in Wien ist die ehemalige SPÖ-Politikerin Irmtraut Karlsson. Sie gründete 1969 als ÖH-Vertreterin den ersten Uni-Kindergarten in Wien und wenig später das "Erste Wiener Kinderkollektiv". Warum Elternbeteiligung bei der Kinderbetreuung besonders wichtig ist, wie sich linksliberale Frauen und Männer damals die Kinderbetreuung aufteilten und was ihnen an den herkömmlichen Institutionen nicht passte, erzählt die heutige Krimi- und Sachbuchautorin im Gespräch mit dieStandard.at.

dieStandard.at: Sie haben Ende der 1960er die ersten elternverwalteten Kindergruppen in Wien mitgegründet. Warum war das damals nötig?

Karlsson: Wir kamen aus der Studentenbewegung und kritisierten grundsätzlich den autoritären und reglementierten Zugang bei der Kinderbetreuung. Ein großer Einfluss war für uns die Summerhill-Bewegung, die bereits in den 1920ern in Großbritannien entstanden ist.

Die damalige öffentliche Kinderbetreuung war darauf ausgerichtet, dass man das Kind in der Früh abgab und am Abend wieder abholte. Was den ganzen Tag über mit den Kindern geschah, durfte man als Elternteil aber nicht wissen. Es ging um Unterordnung und Pünktlichkeit. Wenn man einmal fünf Minuten zu spät kam, war die Hölle los. Ein großes Problem war auch das Essen - es war grauslig, ich hätte es auch nicht gegessen.

In Österreich wird leicht vergessen, dass von 1934 bis 1945 der Faschismus herrschte, das hat vieles verschüttet auch bei der Erziehung. In Großbritannien hat sich die Reformpädagogik ohne Unterbrechung entwickeln können.

dieStandard.at: Wie ist Ihre Bewegung damals ins Rollen gekommen?

Karlsson: Angefangen hat es Ende 1968. In der ÖH (Freiheitliche, ÖVP und VSSTÖ gemeinsam) setzten wir uns dafür ein, dass ein eigener Studentenkindergarten in der Lammgasse gegründet wird. Laut Friedhelm Frischenschlager, dem Vertreter des RFS, habe ich damals meinen zweijährigen Sohn auf den Schreibtisch des Rektors gesetzt und gesagt: "Ich gehe hier nicht mehr weg, bevor wir nicht diesen Studentenkindergarten kriegen." Ich persönlich kann mich daran aber nicht mehr erinnern.

Ein Jahr später ging es dann weiter mit der Gründung des Ersten Wiener Kinderkollektivs, hier waren nicht nur Studierende beteiligt.

Später, als unsere Kinder aus dem Kindergartenalter herausgewachsen waren, haben sich weitere Gruppen gebildet, etwa in der Großfeldsiedlung und im zweiten Bezirk unter dem Maler und Lehrer Julius Mende. Aus der Mende-Gruppe ist dann die Berggasse entstanden, die wiederum der Vorläufer des nun bedrohten Uni-Kindergartens im Alten AKH ist.

dieStandard.at: Hier schließt sich der Kreis. Bis heute ist der Uni-Kindergarten elternverwaltet. Warum war Ihnen die Elternbeteiligung bei der Kinderbetreuung so wichtig?

Karlsson: Elternbeteiligung war eines unserer Grundprinzipien. Wir wollten mitbestimmen, wie unsere Kinder behandelt werden, womit sie sich beschäftigen, was sie essen usw. Die Gesellschaft gibt ja vor allem Müttern eine große Verantwortung, was aus den Kindern wird. Mitsprache hatten sie aber bei der Kinderbetreuung nicht. Das wollten wir ändern. Bei den Wiener Kindergärten herrschte damals die Idee vor: "Wir sind so gut, dass wir die Mitsprache der Eltern nicht brauchen." Eltern wurden als Störfaktor betrachtet.

Damals beim Kinderkollektiv haben wir die Selbstverantwortung voll betrieben, zum Beispiel die BetreuerInnen selbst eingestellt. Dieses Prinzip halte ich nach wie vor für wichtig, wobei es aber nicht in allen Lebenssituationen möglich ist, das ist mir schon klar.

dieStandard.at: Wie viel Zeit haben Sie damals pro Woche für die Kindergruppe Ihres Sohnes aufgewendet?

Karlsson: Das lässt sich heute schwer sagen. Einmal pro Woche gab es den Elternabend, wo die Dienste und Arbeiten für die kommende Woche besprochen wurden. Nur war das nicht Arbeitszeit in dem Sinn: Wir waren ja alle miteinander befreundet, haben viele Sachen gemeinsam gemacht, Feste organisiert. Wir waren interessiert an der Entwicklung unserer Kinder, daher wurden auch zeitliche Prioritäten gesetzt.

dieStandard.at: Ihrer Szene ging es auch darum, eine gleichberechtigte Rollenaufteilung zwischen den Eltern zu leben. Wie sah die Rollenverteilung tatsächlich aus bei den alternativen Eltern?

Karlsson: Bei uns war das schon ziemlich gleichmäßig. Das hat sich aus der beruflichen Situation der Eltern ergeben. Wir hatten einige Väter, die Hochschulangehörige waren, und die konnten es sich auch besser einteilen. Aufgrund der Privilegiertheit und der politischen Einstellung der Eltern war die Arbeitsaufteilung gerechter zwischen den Geschlechtern.

dieStandard.at: Für Eltern mit geregelten Arbeitszeiten sind elternverwaltete Kindergruppen meist schwer wahrzunehmen. War die soziale Homogenität dieser Bewegung damals schon Thema?

Karlsson: Es wurde schon diskutiert, was berufstätige Eltern beitragen könnten, weil sie physisch nicht anwesend sein können. Das geht aus den Protokollen von damals hervor.

dieStandard.at: Bis heute zeigt sich das Bild, dass alternative Pädagogik und Elternverwaltung eher Schichten anziehen, die es sich finanziell und zeitlich leisten können. Wie könnte man das ändern?

Karlsson: Das ist natürlich schade, aber das Problem sehe ich nicht bei den elternverwalteten Kindergärten, sondern woanders. Wichtig wäre als Erstes einmal, dass die herkömmlichen Einrichtungen mehr Eltern-Involvierung anbieten, als sie tun. Beruflich sehr stark eingespannte Eltern sind nicht a priori uninteressiert daran, was im Kindergarten passiert.

Schlimm ist aber auch die in Österreich immer noch vorherrschende Rollenfixierung. Die Einbeziehung der Männer in die Familienarbeit ist bis heute nicht gelungen, aber das kann die Reformpädagogik allein nicht leisten. Ich erinnere daran, wie wütend die Halbe-halbe-Kampagne von Frauenministerin Helga Konrad in den 1990ern bekämpft wurde. Keine Frauenministerin nachher hat sich je wieder getraut, das aufzugreifen. Es hängt daran, dass sich viele Männer in Österreich um ihre Kinder nichts pfeifen, im Sinne der täglichen Betreuungsarbeit. Ausflüge, Spazierengehen oder Sport und Spiel machen sie eher mit den Kindern.

dieStandard.at: Wie beurteilen Sie die institutionelle Kinderbetreuung heute?

Karlsson: Für die heutigen Verhältnisse bin ich keine Expertin mehr. Aber ich habe gehört, dass die Betreuung inzwischen kindzentrierter geworden ist. Auch die Rollenerziehung ist wohl nicht mehr so stark. Sie müssen sich vorstellen: Als mein Sohn klein war, durften die Buben im Städtischen Kindergarten ja nicht einmal in der Puppenecke spielen. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 24.5.2012)