Montréal - Am hundertsten Tag der Studentenproteste gegen die Erhöhung der Studiengebühren in der kanadischen Provinz Québec sind am Dienstag in Montréal Zehntausende Menschen für die Demonstrationsfreiheit auf die Straße gegangen. Während eine Großkundgebung weitgehend friedlich verlief, kam es bei Protesten am Abend zu Zusammenstößen zwischen Teilnehmern und Polizisten. Dutzende Menschen wurden festgenommen.

Regierung verschärft Gesetz aufgrund der Proteste

Bei einer Kundgebung am Nachmittag sprachen sich die Redner gegen die Erhöhung der Studiengebühren aus und verurteilten ein am Freitag von der Provinzregierung beschlossenes "Sondergesetz", welches das Versammlungsrecht einschränkt und Streikposten vor Bildungseinrichtungen verbietet. Die Sonderregelung sieht unter anderem vor, dass Organisatoren von Demonstrationen mit mindestens 50 Teilnehmern die Polizei mindestens acht Stunden im Voraus über die geplante Proteststrecke informieren müssen.

Die Regierung der französischsprachigen Provinz reagierte mit dem Gesetz auf die seit mehr als drei Monaten andauernden Proteste und Streiks von 165.000 Studenten. Am Rande der Demonstration am Nachmittag gab es einzelne Zwischenfälle, bei denen drei Schaufenster durch Wurfgeschoße zerstört wurden. Die Krawalle gingen von einer Gruppe von Demonstranten aus, die von der genehmigten Route abgewichen waren. Nach Polizeiangaben wurde niemand festgenommen. Am Abend jedoch kam es bei einer von den Behörden als illegal eingestuften Demonstration zu gewaltsamen Zusammenstößen. Demonstranten warfen Flaschen in Richtung der Einsatzkräfte. Die Polizei setzte daraufhin Schockgranaten und Schlagstöcke gegen die Demonstranten ein. Rund 50 Menschen wurden nach Angaben der Polizei festgenommen. Den meisten werde "illegale Versammlung" und Vermummung vorgeworfen.

Drei Menschen verletzt

Zuvor war der 29. Abendmarsch in Folge friedlich im Zentrum von Montréal gestartet. Am späteren Abend ging die Polizei dann gegen die Teilnehmer vor. Nach Angaben der Polizei wurden drei Menschen leicht verletzt, darunter zwei Polizisten. Der Minister für öffentliche Sicherheit von Québec, Robert Dutil, verteidigte das umstrittene Sondergesetz: Dieses verhindere keine Demonstrationen, sondern rahme sie ein, sagte er. "In Frankreich braucht man 20 Tage vorher eine Genehmigung, in London eine Ankündigung sechs Tage im Voraus, in Genf 30 Tage", sagte er. Gewerkschaften und verschiedene Organisationen haben angekündigt, das bis zum 1. Juli 2013 geltende Sondergesetz vor Gericht anzufechten. Ein solches Verfahren könnte jedoch mehrere Jahre dauern.

Studenten erhalten Zuspruch

Nach Umfragen gewinnen die Studenten zunehmend die Sympathien der breiten Bevölkerung. Während zunächst eine Mehrheit der Menschen in Québec die Regierung bei ihrem Vorhaben, die Studiengebühren zu erhöhen, unterstützte, sind seit der Verabschiedung des Sondergesetzes viele Bürger verärgert über das Krisenmanagement von Provinz-Regierungschef Jean Charest. Die Verhandlungen zwischen Studenten und Regierung stecken derzeit in einer Sackgasse. Bildungsministerin Michelle Courchesne ließ am Dienstag ausrichten, die Türen für Verhandlungen blieben "immer offen". Der Sprecher der radikalen Studentenvereinigung "Classe", Gabriel Nadeau-Dubois, sagte, es liege keine entsprechende Einladung der Regierung vor. Seine Organisation sei aber bereit zu verhandeln. (APA, 23.5.2012)