derStandard.at/web ist bereits auf dem Weg nach San Francisco und wird live sowie in aller Ausführlichkeit von der Google I/O berichten.

Foto: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Vom 27.-29. Juni ist es wieder so weit: Drei Tage lang versammelt Google rund 5.000 EntwicklerInnen um sie in zahlreichen Sessions über aktuelle Neuerungen rund um die eigenen Services zu informieren. Doch die I/O benannte Konferenz birgt auch für die breite Masse durchaus Spannendes, immerhin nutzt der Softwarehersteller die einleitenden Keynotes üblicherweise, um neue Produkte vorzustellen und eine Vorschau auf kommende Technologien zu geben. Was Google in dieser Hinsicht für die I/O 2012 vorhat, ist naturgemäß bis zuletzt ein streng gehütetes Geheimnis, und doch lässt sich gemeinhin so manches vorab erraten - woran sich im folgenden versucht werden soll.

Nexus 7

Als relativ gesichert darf mittlerweile die Vorstellungen des ersten eigenen Tablet von Google angenommen werden. In den letzten Wochen hatte sich die Gerüchtelage betreffs eines entsprechenden Geräts immer weiter verdichtet, selbst so mancher ASUS-Manager - der Hardwarehersteller ist dem Vernehmen nach für die Produktion des "Nexus Tablet" zuständig - soll bereits unter der Hand geplaudert haben.

Das erste "Nexus Tablet" soll mit einem 7-Zoll-Bildschirm und einer Quad-Core Tegra-3-CPU von Nvidia ausgestattet sein, und ist in vielerlei Hinsicht vor allem ein Konkurrent zu Amazons Kindle Fire: Der Preis dürfte sich mit 150-200 US-Dollar eher im unteren Bereich bewegen, wie auch das Tablet von Amazon wird man wohl einen starken Fokus auf das Tablet als Wiedergabegeräte für unterschiedlichste Inhalte - von Spielen über Musik und Videos zu Büchern. Zuletzt waren sogar Berichte aufgetaucht, dass das Nexus Tablet gleich mit einigen Magazin-Abos angeboten werden soll.

Lokale Einschränkungen

Was von all dem in Europa landen wird, ist natürlich fraglich, immerhin ist unübersehbar, dass die Unterhaltungsindustrie eine gesteigerte Abneigung gegen Google hegt, und dem Vorhaben Google Play Music und Co. weltweit auszubauen, wenig bereitwillig gegenüber steht. Selbst Googles Versuche die Content-Industrie mit wirklich großen Vorabzahlungen zu locken, scheinen bislang nichts gefruchtet zu haben. Aber wer weiß, vielleicht gibt es ja auch in dieser Hinsicht von der I/O substantielle Verbesserungen zu berichten.

Ein Punkt ist hingegen wohl fix: Ein Nexus Tablet würde wohl (unter anderem) direkt über den Play Store von Google verkauft, immerhin macht das Unternehmen das schon seit kurzem mit dem Galaxy Nexus so. Bleibt zu hoffen, dass dieses Angebot international ausgedehnt wird, bisher beschränkt es sich noch auf die USA. Als Name kursiert für das viel spekulierte Gerät übrigens "Nexus 7", diese Bezeichnung kann jedenfalls den EXIF-Daten eines von einem Google-Mitarbeiter auf Picasa hochgeladenen Fotos entnommen werden. Das Tablet wäre damit nicht das erste Google-Gerät, dass auf diese Weise vorab "geoutet" wird, schon beim Smartphone Nexus S war ähnliches passiert.

Android 4.1

Eine spannende Frage ist auch: Mit welcher Softwareversion würde so ein Nexus Tablet eigentlich ausgeliefert werden? Und in weiterer Folge: Wird Google eine neue Android-Version auf der I/O vorstellen? Aufgrund eines kleinen "Leaks" auf der offiziellen Galaxy-Nexus-Seite im Google Play Store, darf als ziemlich sicher angenommen werden, dass mit Android 4.1 "Jelly Bean" tatsächlich eine neue Softwaregeneration ihre Debüt auf der I/O geben wird. Auch die eine oder andere Bemerkung aus Google-Kreisen gegenüber dem WebStandard lassen eine rasche Release sehr wahrscheinlich erscheinen. Mit etwas Glück könnte es also zumindest für Googles aktuelles Vorzeige-Smartphone, das Galaxy Nexus, gleich auf der I/O ein passendes Update geben.

Abzuwarten bleibt dabei freilich, ob es sich bei der neuen Release um ein großes Update oder eher (und das ist wahrscheinlicher) um eine in - eventuell durchaus signifikanten - Details erweiterte Ausgabe von Ice Cream Sandwich handelt. Auf letzteres deuten vor allem zweierlei Faktoren hin. Einerseits möchte Google, nicht zuletzt auf Druck der Hersteller, die Frequenz größerer Updates auf einmal jährlich reduzieren. Andererseits ist eben jenes Major Update (Android 5.0) eigentlich schon fix für Herbst gebucht - wenn die neue Nexus-Smartphone-Generation ansteht.

Majel

Das heißt natürlich nicht, dass Google auf der I/O keine großen Android-News im Gepäck haben wird. Ganz im Gegenteil, hat man die Konferenz doch schon in den letzten Jahren immer wieder genutzt, um einen Vorgeschmack auf einzelne, ausgewählte Zukunftstechnologien zu geben. Besonders hoch im Kurz steht dabei eine erste Präsentation des Google Assistant - also quasi Googles Pendant zu Apples Siri beziehungsweise die logische Erweiterung der schon bisher bei Android vorhandenen "Voice Search".

Dabei handelt es sich um ein (wohl dokumentiertes, aber offiziell noch gar nicht bestätigtes, Anm.) Unterfangen, dessen strategische Relevanz für Google man gar nicht hoch genug bewerten kann, darauf weist schon der ursprüngliche Code-Name hin: "Majel" ist nämlich ein Hommage an Majel Barrett-Roddenberry, die - unter anderem - jahrelang dem Computer in Star Trek die Stimme geliehen hat. Google schwebt hier also langfristig eine ähnliche Form von "natürlicher" Computer-Interaktion vor.

Knowledge Graph

Einen der wichtigsten Grundsteine für ein solches System hat Google ja erst vor einigen Wochen gelauncht: Der "Knowledge Graph" ist nämlich nicht einfach ein kleines nettes Zusatzfeature für die Google-Suche, sondern symbolisiert auch deren zunehmende Transformation in eine Wissensmaschine, hin zum semantischen Erfassen des Webs statt der "simplen" Kombination von Stichwörtern. Und genau das wird benötigt, um ein Service wie Google Assistant wirklich nützlich zu machen, zu viele Fehlinterpretation würden die NutzerInnen schnell vertreiben.

Dabei hat Google einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Angeboten der Konkurrenz: Man hat die gesamte dafür nötige Technologie in einer Hand, sowohl Apples Siri als auch Samsungs S-Voice bedienen sich hingegen bei den exakt selben Bausteinen: Beide Services greifen auf die Wissensmaschine Wolfram Alpha zurück und nutzen die Sprachtechnologie von Nuance. Dazu passend könnte übrigens auch eine deutliche Verbesserung der Sprachausgabe bei Android anstehen, immerhin hat das Unternehmen schon vor einiger Zeit mit Phonetic Arts einen Experten auf diesem Gebiet aufgekauft.

Nexus-Strategie

Einiges Aufsehen hat vor kurzem ein Bericht ausgelöst, nachdem Google seine Strategie in Fragen der Nexus-Linie völlig neu gestalten will: Statt einem einzigen "Lead Device" pro Jahr soll es künftig eine ganze Palette solcher Geräte in Kooperation mit mehreren Herstellern geben. Die Vorteile wären evident, einerseits muss man nicht länger einen Hersteller - zum Ärger der anderen - auswählen, zudem würden sich neue Android-Versionen schneller verbreiten, und das "pure" Android mehr AbnehmerInnen finden. Ob man hierzu allerdings tatsächlich schon mehrere Monate vor der nächsten Nexus-Generation Stellung nehmen will, ist aber eher fraglich. Zumindest ist sicher, dass dieses Thema von der anwesenden Presse öfter mal aufgeworfen werden wird. Dies gerade auch unter dem Blickpunkt, dass Google bei der letzten I/O vollmundig eine "Update-Allianz" mit den Herstellern versprochen hat - die dann in den Folgemonaten ins Nichts verschwunden ist.

Auch sonst gibt es noch einige Überbleibsel vom Vorjahr: Allen voran Android@Home, eine Initiative den Haushalt unter Nutzung des eigenen mobilen Betriebssystems "intelligenter" zu machen. Bei der Google I/O 2011 demonstrierte man dies beispielsweise anhand einer Steuerung für das Lichtsystem im Raum. Bleibt die Hoffnung, das es hier ein erklärendes Update von Seiten Googles gibt.

ChromeOS

Neben Android war ChromeOS - beziehungsweise die Vorstellung der ersten darauf basierenden Consumer-Laptops - einer der Schwerpunkte im vergangenen Jahr. Ein Blick auf den Session Schedule offenbart, dass dies wohl auch heuer wieder so sein wird. Und doch sind hier keine bahnbrechenden Ankündigungen zu erwarten, und dies aus einem recht einfachen Grund: Die neue Chromebook/Chromebox-Generation (samt einem vollständig neu gestalteten User Interface) hat Google bereits vor einigen Wochen präsentiert.

Chrome

Etwas anders verhält sich die Situation in Bezug auf den Chrome-Browser selbst: Hier könnte es nämlich durchaus Relevantes zu berichten geben. Schon vor einiger Zeit hat Google verlautbart, dass dessen Android-Version künftig die Default-Lösung für das mobile Betriebssystem darstellen soll. Glaubt man aktuellen Berichten könnte dieser Wechsel bereits mit Android 4.1 vollzogen werden - und so Chrome zum vorinstallierten Browser auf dem Nexus 7 machen.

Neben des simplen Umstands, dass Android auf diesem Weg einen besseren Browser erhält, könnte solch ein Schritt auch einen entscheidenden Schritt für Android als Plattform darstellen. Immerhin soll der Chrome künftig - im Gegensatz zum bisherigen Android Browser - über den Google Play Store laufend auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Dadurch können nicht nur regelmäßig neue Features, Performanceverbesserung und Sicherheitsupdates ausgeliefert werden, Android wird auch als Zielplattform für webbasierte Anwendungen wesentlich interessanter.

Spekulatives

Statt mit einer Unzahl unterschiedlicher Browser-Versionen sehen sich die EntwicklerInnen dann mittelfristig (also wenn mal alle Geräte auf Android 4.1+ laufen) nur mehr mit den aktuellsten Chrome-Ausgaben konfrontiert - wie es am Desktop auch jetzt schon der Fall ist. Und dies unabhängig von der darunter arbeitenden Android-Version. Der nächste logische Schritt wäre dann die Integration von Chrome Apps mit dem Google Play Store - und somit eigentlich die schrittweise Einführung des Webs als zweite Entwicklungsplattform für Android. Und zwar eine, die durch die laufenden Chrome-Updates wesentlich weniger "fragmentiert" wäre. Ob und wann Google diesen Schritt wagen wird, ist freilich derzeit noch vollkommen offen, eine entsprechende Ankündigung in diese Richtung wäre zur heurigen I/O jedenfalls eine größere Überraschung. Immerhin bieten bisherige Testversionen des Android-Chrome bisher noch gar keinen Support für Chrome-Apps.

Google+

Eine in jeglicher Hinsicht zentrale Rolle wird fraglos Google+ einnehmen, also das was landauf, landab gemeinhin als Facebook-Konkurrenz bezeichnet wird, in Wirklichkeit aber vor allem für eine zentrale Transformation von Google als Ganzes rund um soziale Beziehungen steht. Gute Chancen für einen Launch hat etwa eines der unübersehbar noch fehlenden Puzzlestücke: Die Möglichkeit "Events" zu erstellen.

Dass diese kommen werden, ist aus mehreren Gründen praktisch sicher: Einerseits finden sich in der Google+-App für Android bereits eindeutige Hinweise auf die "Events", zudem wurde mit dem "Local"-Feature erst unlängst die notwendige Basis bereitet. Und nicht zu vergessen: Der Events-Support wäre geradezu prädestiniert, um bei (oder knapp vor) der I/O an den Start zu gehen, und so die Konferenz gleich als ersten großen Massentest fungieren zu lassen. Immerhin dürfte hier die Dichte der Google+-NutzerInnen höher sein als bei irgendeiner anderen Veranstaltung des Jahres.

Was sich mit den Events schließlich alles anstellen lassen wird, unterliegt vorerst natürlich noch dem Bereich der Spekulation. Der Recherche von Android Police ist allerdings die Erkenntnis zu verdanken, dass Google in der App bereits eigene Fotoseiten für Events vorbereitet hat, hier also offenbar die eigenen Aufnahmen dann mit einzelnen Ereignissen verbunden werden können. Dies wird wohl nicht zuletzt die bereits recht aktive Foto-Community auf Google+ erfreuen.

Herausforderungen

Das Ganze zu einem Zeitpunkt, zu dem die Nachrichten über Google+ eher gemischte Natur sind. Einerseits scheint man zumindest in den USA aktuell wieder ein gewisses Wachstum zu verzeichnen (in Hinblick auf die aktive Nutzung und nicht nur die Anmeldungen), andererseits haben gerade einige Spielhersteller ihren Abschied von Google+ verkündet, da sie zu wenig Interaktion sehen.

Unter die Kategorie "durchaus reale Chance" fällt der Wunsch viele Google+-NutzerInnen auf eine speziell optimierte Tablet-Ausgabe der Android-App. Immerhin würde dies bestens zu einer Vorstellung des Nexus 7 passen. EntwicklerInnen hoffen auf neue APIs , schon im Vorfeld hat sich hier ja mit dem - vorerst allerdings exklusiven - Zugriff für Flipboard als Google+-Client Signifikantes getan.

Drive

Ebenfalls noch relativ jung ist Google Drive, zumindest in der derzeitigen Form. Als relativ gesichert kann angenommen werden, dass (endlich!) der lang versprochene Offline-Support für Google Docs kommt, Google hat dies erst unlängst für die nahe Zukunft in Aussicht gestellt (wenn dabei auch kein exakter Termin genannt wurde). Wenig beachtet ist dabei bisher, dass Google eigentlich ganz offen mit dieser Technologie experimentiert, wenn auch unter anderem Namen: Mit dem Scratchpad gibt es schon länger eine Chrome-App, die eine simple Version des Google-Docs-Editors bietet, und erstellte Notizen sowohl lokal speichern als auch automatisch mit Google Docs synchronisieren kann (und die unter Android mit der Drive-App bearbeitet werden können).

Auch manch andere Verbesserungen für das Google Drive gelten als relativ sicher - offen bleibt aber ob sie auch schon bei der I/O gelauncht werden. Dazu gehört eine Verknüpfung von Picasa (bzw. eventuell dann Google Photos) mit dem Drive ebenso wie die Zusammenarbeit des Online-Laufwerks mit mehr Google-Services, allen voran GMail.

Maps

Eine Tech-Demo der künftigen Google Maps / Earth-Version-App wird sich Google wohl nicht zuletzt angesichts des Ende der Partnerschaft mit Apple für iOS kaum entgehen lassen. All zu große Hoffnung auf eine umgehende Release sollte man sich hier aber lieber nicht machen, bei der ersten Präsentation im Rahmen eines Google-Spezialevents Anfang Juni wirkte die Software noch etwas unfertig.

Google Glasses

Zu den derzeit unzweifelhaft ambitioniertesten Unterfangen des Konzerns gehören die sogenannten "Glasses", also Googles Idee einer mit Android betriebenen Augmented Reality-Brille. Ein prominenter Auftritt in einer Keynote und die eine oder andere Sichtung in den Hallen des Moscone Center West dürften den Google Glasses insofern wohl sicher sein. Auf viel mehr sollte man sich aber lieber nicht einstellen, zu früh ist hier noch der Entwicklungsstand.

Bleibt noch ein Bereich, der weiter zu den Sorgenkindern des Unternehmens zählt, und zwar GoogleTV. Vor einigen Monaten hatte Google-Vorstand Eric Schmidt noch vollmundig verkündet, dass bis zum Sommer die meisten neuen Fernseher mit GoogleTV ausgestattet sein würden. Davon ist allerdings auch bei einem sehr freundlich angelegten Blickwinkel kaum etwas zu bemerken. Insofern darf man gespannt sein, was Google zu diesem Thema zu sagen hat.

Der Überraschungseffekt

Jenseits all der erwähnten Punkte, ist Google natürlich immer auch für so manche Überraschung gut. Allen Leaks zum Trotz gab es auch im Vorjahr einiges zu sehen, womit kaum jemand gerechnet hatte. Insofern darf man also in jeglicher Hinsicht auf die Google I/O 2012 gespannt sein. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 24.06.12)