Die "Götterdämmerung" als dekadentes Spiel um Macht: Anna Gabler (Gutrune), Stephen Gould (Siegfried) und Iain Paterson (Gunther).

Foto: Wilfried Hösl

Warum soll es der Bayerischen Staatsoper besser ergehen als den brennenden Göttern in Walhalla: Als alles vorbei war und sich die Zuschauer nach der Götterdämmerung vor dem Opernhaus damit abzufinden begannen, dass auch die Münchner Dunkelheit die Schwüle nicht vertrieben hatte, begann das Musiktheaterhaus also von oben her zu brennen. Es loderten die Flammen an der Fassade, bis Gebäudebrocken donnernd auf Stiegen zu krachen begannen. Ein schönes Inferno.

Der Beginn der Münchner Opernfestspiele ist also mit dieser Installations-Coda anschaulich über die eigentliche Bühne geschwappt; einer Coda, die sich optisch auf die Ideen von Andreas Kriegenburg bezieht: Nicht nur am Ende seiner Ring-Version hat es der Regisseur videomäßig brennen lassen; vielmehr hat er mit zerlegten Sesseln und Tischen ein echtes Finalfeuer gelegt. Plakativ ist seine Arbeit dennoch nicht, auch wenn Kriegenburg aktuelle Eurokrisen und jüngere Naturkatastrophen verarbeitet.

Da strahlen einen ja zunächst Fernsehbilder von Fluten und Überschwemmungen aus Japan an, unter denen die Überlebenden auf Koffern sitzen und ratlos wie reglos Fotos ihrer vermissten Angehörigen betrachten, während Männer in Schutzanzügen nach Radioaktivität suchen.

Bei den Gibichungen jedoch ist später, dort wo Kriegenburgs Regie ihre subtilen Glanzpunke erreicht, noch nicht viel von Untergang zu sehen. Kriegenburg formt diese Herrscherfamilie zu Konzerninhabern, die im transparent-effizienten Glaspalast logieren (Bühnenbild: Harald B. Thor) und maschinell gehorchende Individuen befehligen.

Ihrerseits jedoch müssen sie schon gewaltig viel Hochprozentiges an der Firmenbar tanken, um ihr Gleichgewicht zu halten: Gunther, Gutrune und Hagen wirken wie das gelangweilte, innerlich verwahrloste Trio, das sich mit Siegfried ein Intrigenspielchen gönnt, um Sinnlosigkeitsgefühle zu bändigen.
Der Griff zum Putzpersonal

In ihrer Welt des Konsumismus und der Gewinnmaximierung wird Glück als jener Betäubungszustand gezeigt, der nur noch durch Substanzen und zum Sex führende Machtdemonstration erreicht wird. Gunther (grandios flexibel und eindringlich als fragiler Jungunternehmer: Iain Paterson) vergreift sich dann auch gerne am Putzpersonal; auch Schwester Gutrune (perfekt als gelangweilte Kokette: Anna Gabler) küsst er mehr als brüderlich. Und auch Hagen (Eric Halfvarson kam ein paar Stunden vor der Vorstellung aus Wien, nachdem zwei Hagen ausgefallen waren, und wirkte dennoch souverän) bezahlt gerne für Massenliebesdienste.

Als naiv-euphorischer Naturkraftlackel muss Siegfried (dynamisch, aber schauspielerisch doch etwas limitiert: Stephen Gould) in dieser abgebrühten Gesellschaft, in der Handys zu Waffen werden, untergehen: Wie er sich von Gutrune, die lockend auf einem Euro-Schaukelpferd reitet, umgarnen lässt; wie blutsbrüderlich er in die Treue zu Gunter stürzt - all das hat Kriegenburg delikat herausgearbeitet. Wie auch viele Details: Die Menschenmassen, die sich noch in Rheingold zu Bühnenbildern formten, sind hier nur noch sporadisch im Einsatz, wenn es etwa gilt, Wasserfluten zu simulieren. Dem Einzelnen indes wurde viel, auch humoristische Sorgfalt geschenkt.

Etwa Gunther. Angesichts des Ehescherbenhaufens mit der rasenden Brünnhilde (sensationell ausdrucksstark und impulsiv Nina Stemme) lässt er sich volllaufen und setzt sich als Gipfel der Rauschverwirrung ihren Brautschleier auf. Oder Alberich (tadellos Wolfgang Koch): Wie er seinen Sohn Hagen besucht, streift er gleich en passant aus der Bar flüssigen Proviant ein. Oder die panischen Beschwörungen Waltrautes: Die intensive Michaela Schuster mahnt Brünnhilde, sie möge dem Rhein den Ring zurückgeben, um das Götterende zu bannen. Das alles hat subtile Theaterkraft.

Dirigent Kent Nagano und das Orchester umspülen die Szene mit satt-dynamischen Klängen, deren Energie und Klarheit beeindruckten. Nur im Detail zeigt sich mitunter, dass diese Klarheit ein bisschen viel Ausdrucksuniformität bewirkt und die Ausgestaltung der zierlichen Phrase etwas mehr fiebrige Nervosität vertragen hätte wie auch Siegfrieds Trauermarsch mehr Impulsivität. Dennoch: Applaus für alle am Untergang Beteiligten. (Ljubiša Tošić aus München, DER STANDARD, 2.7.2012)