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Tod der Langeweile, koste es, was es wolle: Der Mörbischer "Öl-, Gas- und Diamantenprinz" Orlowsky (Zoryana Kushpler, oben) feiert in farbenfrohen Arrangements bis zum Abwinken.

Foto: Lilli Strauss/dapd

Unterhaltung zwischen Plattitüde und Tristesse.

Mörbisch - Von einer "dekadenten Gesellschaft" spricht die Lautsprecherstimme, die unzählige Male über die Seebühne hinweg erschallt. Ganz auszuschließen ist es nicht, dass sie damit nicht bloß die handelnden Personen der Fledermaus meint, sondern auch jene auf den Rängen mit einbezieht.

Die Operette von Johann Strauß sei für ihn nichts anderes als Opernball, hatte der scheidende Intendant Harald Serafin im Vorfeld seiner letzten Mörbischer Produktion gemeint: "Ich finde das herrlich!" (und einmal nicht "wunderbar"). Zu einem gesellschaftlichen Ereignis hat er in den letzten 20 Jahren auch seine Seefestspiele gemacht, zu einem Almauftrieb der Prominenz unter den Augen eines Großteils des Publikums, das breite Schichten der Bevölkerung repräsentiert. Legendär und von manchen gefürchtet war seine Begrüßungsrede, bei der er am Donnerstag nochmals alles verbal umarmte, was ihm unter die Augen kam - sehr spontan, ein bisschen respektlos, ein bisschen anzüglich, punktuell geistreich und dann wieder kalauernd banal.

Im Grunde benahm sich Serafin all die Jahre ähnlich wie der Prinz Orlowsky aus jenem Stück, mit dem er nun seinen Abschied nimmt: als ein eher unberechenbarer Gastgeber, der die Regeln in seinem Territorium selbst bestimmt und das Amüsement zum Selbstzweck erhebt.

Als Person eignete er sich damit genau wie seine Festspiele als wunderbare Projektionsfläche für Vorurteile aller Art. Die neue Mörbischer Fledermaus lässt sich allerdings mit Kategorien wie Kitsch, Oberflächlichkeit oder platter Unterhaltung nicht hinreichend beschreiben. Obwohl Helmuth Lohner als Gefängnisdiener Frosch feststellte: "Es wird immer platter, grasser und defekter." Er hält übrigens eine Zelle mit der Aufschrift "KHG" frei: "Komme heuer gewiss". Und auch in der Operette gilt - ein Running Gag während des ganzen Abends - die Unschuldsvermutung.

Aber der Reihe nach: Keine Idylle, sondern ein desolates Bild einer graffitibeschmierten Wand ziert die (inszenierte) Ouvertüre, eine Schneelandschaft die Bühnenränder. Ansonsten sind Bühnenbild und Kostüme (Amra Bergman-Buchbinder) gewohnt farbenfroh und plakativ. Dass aber im zweiten Akt ein riesiger Kronleuchter auf dem Boden liegt, ist eines der Anzeichen für die tatsächliche Dekadenz, die hier um sich greift.

Intendant außer Konkurrenz

Als Frosch schlägt Lohner mehrfach die Brücke zur realen Tristesse der Gegenwart und serviert mit seiner stillen Art sämtliche Witze souverän. Als Regisseur gelingt ihm dies weniger; mangelndes Timing führt dazu, dass manche der sonst sichersten Pointen untergehen - es bleiben dennoch genügend Gags, um das Tempo zu erhalten. Ansonsten sorgt die Choreografie Giorgio Madias für funktionierende Arrangements aus jeder Perspektive.

Musikalisch gelten auf der Freiluftbühne mehrfach andere Maßstäbe: Das Festivalorchester unter der Leitung von Manfred Mayrhofer spielt mehr als ordentlich, könnte allerdings "wienerischer" schwingen - was jedoch im Kleid der Tonanlage auf jeden Fall unbefriedigend bliebe.

Die Singstimmen kommen weniger verfälscht aus den Verstärkern - und klingen heuer in der Premierenbesetzung teilweise wirklich exzellent. Luxuriös sind Herbert Lippert (Eisenstein), Alexandra Reinprecht (Rosalinde), Daniela Fally (Adele) sowie Zoryana Kushpler (Orlowsky), und etliches von ihren Qualitäten dringt trotz Wind und Wetter tatsächlich bis zum Publikum. Die witzige Karikatur des Tenors Alfred gibt Angus Wood. Serafin selbst mimt den Gefängnisdirektor Frank gesanglich außer Konkurrenz, doch mit unverbrüchlicher Spielfreude.

Der Wille zur Unterhaltung blieb bei der Premiere ungetrübt, auch als sogar der Nieselregen Humor bewies. Pünktlich an jener Stelle setzte er ein, wo es heißt: "Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist." (Daniel Ender, DER STANDARD, 14./15.7.2012)