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Jan Philipp Gloger wurde 1981 in Hagen geboren. Der "Holländer" ist für ihn die dritte Operninszenierung. Seit der Spielzeit 2011/2012 ist Jan Philipp Gloger leitender Regisseur am Staatstheater Mainz.

Foto: APA/dpa/Daniel Karmann

Joachim Lange sprach mit Gloger über Nikitin und Bayreuth.

STANDARD: Wie stehen Sie zu dem öffentlich gewordenen Tatoos von Sänger Jewgeni Nikitin, seinem Rücktritt von der Holländer-Rolle und seiner Abreise?

Jan Philipp Gloger: Als ich am vorigen Freitag erste Informationen über die Nazi-Symbole, die sich in Nikitins Brusttätowierungen finden, erhielt, war ich schockiert. Da er in der Inszenierung ein Hemd trägt, hatte ich ihn nie mit freiem Oberkörper gesehen. Und meine Bestürzung wurde noch größer, als ich dann am Freitagabend in einem wenige Jahre alten Video ein großes Hakenkreuz über seiner rechten Brust erblickte. Seinen Rücktritt konnte ich vor dem Hintergrund einer konsequenten Ablehnung allen nationalsozialistischen Gedankenguts nur unterstützen.

STANDARD: Hatte er Ihnen von seinen "Jugendsünden" erzählt, haben Sie es für möglich gehalten, dass ein eintätowiertes Hakenkreuz dazugehörte?

Gloger: Nikitin hat mir rein gar nichts erzählt! Und ob das alles Jugendsünden waren, das ist zu diskutieren. Immerhin hatte Nikitin das Hakenkreuz - nach einer Aussage - spätestens im Jahre 1991 stechen und erst 2007 überdecken lassen.

STANDARD: Ist Ihr "Fliegender Holländer" zu retten?

Gloger: Ja, aber er ist beschädigt. Was man in sechs Wochen Proben erarbeitet, kann auch mit dem besten Ersatz der Welt - und Herr Youn ist großartig - nicht restlos wieder aufholen. Das ist überaus traurig. Ich kann jetzt nur hoffen, dass die Oper und die Geschichte, die wir mit ihr erzählen wollen, nicht überdeckt werden von den bedauernswerten Ereignissen im Vorfeld.

STANDARD: Wie ist denn Ihre Zusammenarbeit mit Dirigent Christian Thielemann?

Gloger: Das kann ich nur als sehr produktiv beschreiben. Sie ist so pragmatisch und konkret auf die jeweilige Stelle bezogen, sodass es gar nicht um Persönliches geht. Da wäre gar kein Raum für Kapriziöses. Herr Thielemann ist sehr schnell, und ich bin auch nicht der Langsamste. Das passt gut. Es werden natürlich auch mal Sachen verhandelt und Kompromisse geschlossen. Es ist ganz normal, dass man versucht, die Bedürfnisse der Sänger, des Dirigenten und des Regisseurs unter einen Hut zu bringen.

STANDARD: Im Vergleich zu Ihnen als relativ jungem Wagner-Neuling ist dieser Wagner-Dirigent ja doch ein Star ...

Gloger: Wäre ich blockiert, wenn ich mit einen extrem bekannten und erfahrenen musikalischen Partner arbeite, dann müsste ich auch blockiert sein, weil das hier die Bayreuther Festspiele sind und weil ich noch nie Wagner inszeniert habe. Regie zu führen heißt immer zu einem großen Maße ins kalte Wasser zu springen. Einer der größten Virtuosen des Metiers, Peter Brook, hat mal seine Angst vor je- dem Probenbeginn beschrieben.

Man fängt immer wieder von vorn an. Und man muss immer wieder ein bisschen aus dem Nichts starten. Wenn man diese Angst nicht in Energie umwandeln kann, dann ist man verloren.

STANDARD: Viele Bayreuth-Regisseure haben über die knappen Probenzeiten geklagt.

Gloger: Es gibt tatsächlich besondere Probenbedingungen. Ich hatte zum Beispiel am Anfang die Bühne für acht Tage. Jetzt bekommen wir sie erst wieder zu den Endproben. Das heißt, man muss auf der Bühne mit dieser Zeit zu Recht kommen und geht erst danach auf die Feinheiten zu. Das ist nicht unbedingt die schlechtere Variante. Man muss sich nur umstellen. Knapp ist es am Anfang, weil jeder die Erwartung hat, dass man mit dem Stück einmal "durch" ist. In acht Tagen ist das ein Parforceritt. Die Zeit auf der Probebühne danach ist aber nicht verschwindend wenig. Wenn ich alles aufrechne, dann komme ich nur etwas unter die Zeit, die ich an großen Häusern habe. Dafür sind die Leute aber auch immer hier und müssen keine Vorstellungen singen.

STANDARD: Was ist denn nun dieser Fliegende Holländer für Sie?

Gloger: Jedenfalls nicht nur ein Phantom oder eine Projektion Sentas. Für mich ist das ein Mensch, der Gefühle hat, dem aber der Kontakt zu ihnen verlorenging. Wenn man ihn als jemanden sieht, der dem Meer ausgesetzt ist, einer Welt, die voller Unwägbarkeiten ist, die auch für Heimatlosigkeit steht, die aber auch als Übersetzung für einen Seelenzustand gesehen werden kann, dann lässt sich dieses Lebensgefühl in unserer dem Menschen sehr viel Flexibilität und Mobilität abfordernden Welt wiederfinden. Den Holländer als modernen Reisenden in einer von Arbeit dominierten Welt zu sehen, das fanden wir hochinteressant. (Joachim Lange, DER STANDARD, 24.7.2012)