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Eng wird es für Tamino (Bernard Richter) und Papageno (Markus Werba, li. ).

Foto: Kerstin Joensson/dapd

STANDARD: Wie geht es Ihnen wenige Tage vor Ihrem Salzburg-Debüt?

Jens-Daniel Herzog: Man weiß natürlich, was man getan hat. Aber wir haben eine gigantische Logistik entwickelt, da kann natürlich vieles nicht funktionieren, das macht einen schon nervös. Bei einem meiner letzten Besuche in Salzburg sah ich Claus Guth, der damals Così fan tutte inszenierte, auf der Straße und grüßte ihn. Er war so kurz angebunden, dass ich dachte: Na, ist der jetzt auch arrogant geworden? Jetzt merke ich: Hier herrscht eine wirklich große Erwartungshaltung.

STANDARD: Und jetzt grüßen Sie auch nicht mehr?

Herzog: Doch! Aber man will nicht abgelenkt werden, sondern die Sachen, die man sich eineinhalb Jahre ausgedacht hat, realisieren. Sie sind gut, jetzt müssen sie ans Ziel gebracht werden.

STANDARD: Eineinhalb Jahre Vorbereitung auf die "Zauberflöte"- wie kann man sich das vorstellen?

Herzog: Als das Angebot kam, bin ich erst einmal zu Nikolaus Harnoncourt gefahren. Um elf Uhr fingen wir zu reden an, um 20 Uhr haben wir uns erhoben und verabredet, diese Arbeit gemeinsam zu machen. Das Stück ist ja eigentlich nicht schwer: Es ist voll von prallen Geschichten, hat tolle Figuren, gute und berührende Situationen, Überraschungen.

STANDARD: Was ist dann also das Problem?

Herzog: Die Popularität der Oper. Jeder glaubt zu wissen, wie sie zu sein hat. Sich davon zu befreien, einen eigenen speziellen Zugang zu finden und trotzdem aus dem Werk heraus- und nicht zu viel hineinzulesen: Das ist schwierig bei so einem populären Werk. Zuerst dachte ich, zwei Welten zu bebildern - eine überbordernde spielwütige Welt, eine Art Hanswurstiade; und die rationale Sarastro-Welt. Es dauerte, bis mir die Vorgeschichte klar war - und damit auch, dass es nur in einer Welt spielt: eine Familie, ein Patriarch, eine First Lady. Als bei der Testamentsvollstreckung die Macht - der siebenfache Sonnenkreis - an den religiösen Berater dieses Mannes weitergegeben wird, war die Frau natürlich "not amused". Und dann wird ihr noch das Sorgerecht für die Tochter entzogen.

STANDARD: Klingt nach Tom Cruise und Katie Holmes.

Herzog: Stimmt. Wenngleich sich die Oper natürlich nicht auf die Scientologen reduzieren lässt. Doch die Form von Vergottung des Wissens ist erstmal nicht so weit entfernt. Allerdings behält Frau Holmes ihr Kind, das tut die Königin der Nacht nicht. Als ehemalige First Lady inszeniert sie sich immer wieder mit Donner und Blitz, um ihre Identität, die ihr genommen wurde, zu behaupten. Ihr Gesetz ist die Sinnlichkeit, das Begehren, das Individuelle. Auf der anderen Seite gibt es die Sarastro-Welt, die Wissenschaftssekte, deren oberstes Gesetz lautet: Die Spielregel ist wichtiger als der Spieler.

STANDARD: Welche Rolle spielen Pamina und Tamino?

Herzog: Auf ihnen lastet die Erwartung, dass sie die beiden Welten versöhnen: Eine Welt ohne Gefühle und Sinnlichkeit kann nicht funktionieren; eine ohne Ratio und Ordnung wird auch schwer auszuhalten sein. Die jungen Menschen werden in hart zu ertragende Konflikte geworfen. Durch die Prüfungen wird die Machtfrage immer wieder neu gestellt.

STANDARD: Nähern Sie sich einer Oper über den Text oder die Musik?

Herzog: Es gibt ein Askese-Stadium, da höre ich überhaupt nicht in die Musik. Da fange ich an, Figuren zu entwickeln, Situationen zu bauen und immer wieder abzuprüfen: Was sagt der Text? Gerade bei Mozart weiß die Musik manchmal mehr als die Figuren. Das darf man nicht einfach nur illustrieren, sondern muss dem eine szenische oder theatrale Realität gegenüberstellen.

STANDARD: Wie ist Ihre erste Zusammenarbeit mit Harnoncourt?

Herzog: Für Nikolaus Harnoncourt ist die Oper ein Gesamtkunstwerk. Es ist einzigartig, wie viel Zeit er sich nimmt, um szenische Vorgänge im Vorfeld zu besprechen, und wie er dabei neugierig und offen auf Vorschläge reagiert. Umgekehrt kann ich nicht dankbar genug dafür sein, wie er sein Wissen um dieses einzigartige Werk zur Verfügung stellt.

STANDARD: Sie haben Philosophie studiert - um als Sohn eines Schauspielers Distanz zum Vater zu gewinnen?

Herzog: Nein! Ich bin am Theater aufgewachsen, aber ich sehnte mich als Jugendlicher nach etwas, das exakter als das Theater und der Wahrheit näher ist. Deshalb entschied ich mich für etwas Asketisches: Philosophie und Mathematik. Doch ich merkte rasch, dass ich für Lösungen einen halben Tag brauchte, die Kollegen eine Stunde. Und ich entdeckte, dass mir Regieführen leicht fällt.

STANDARD: Sie sind nun Intendant in Dortmund - und bauen dort Ihre künftige Konkurrenz auf?

Herzog: Ich bin selbstbewusst genug, um die jungen Kollegen nicht als Konkurrenz zu empfinden. Für Dortmund kann ich sowieso nicht an den großen Regiemarkt gehen, sondern muss Leute entdecken und entwickeln. Ich habe eine junge Hausregisseurin, habe mich bewusst für Kontinuität entschieden. Es ist wichtig, Partner zu haben, denen man vertraut und die einem die Meinung sagen - vor allem als junger Regisseur. Denn dieser Betrieb sagt ja rasch: Du bist der Größte. Tollste. Wenn du dran glaubst, bist du schon verloren. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 26.7.2012)