Erinnerungen an die Waldorfschule: "Die Eurythmie-Menschen verkörperten so etwas Geschlechtsloses und Körperfeindliches in ihren wallenden Gewändern."

Foto: rwh/derStandard.at

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Rubeys Tochter besucht eine öffentliche Volksschule. "Es hat sich eine Schickeria herausgebildet. Sie spielen für Ute Bock, finden das alles super, sind alternativ, links und schicken ihre Kinder doch in die katholische Privatschule. Das finde ich falsch."

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Noch bevor Manuel Rubey in seinem Wiener Stammlokal, dem Café Rüdigerhof, Platz nimmt, spricht ihn ein Fan an: "Manuel, du bist für mich ein Weltschauspieler." Derzeit ist der Falco-Darsteller gut gebucht, spielt in Filmen, im Fernsehen und auf der Kabarettbühne.

Rubey besuchte zwölf Jahre lang eine Waldorfschule und war davor schon im Waldorfkindergarten. Dort lernte er unter anderem, seinen Namen zu tanzen. Welche Talente sonst noch speziell gefördert wurden, wie der Umstieg aufs Gymnasium gelang und warum er seine Kinder weder in eine Waldorfschule noch in eine katholische Privatschule schicken will, sagt er im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Sie waren zwölf Jahre in einer Waldorfschule und zuvor im Waldorfkindergarten. Die Meinungen über Waldorfschulen gehen auseinander. Hat Sie etwas an der Waldorfschule genervt?

Rubey: Was mir bis heute schleierhaft vorkommt, ist Eurythmie. Dieses Unterrichtsfach ist mir wahnsinnig auf die Nerven gegangen. Auch diese Gewänder. Die Eurythmie-Menschen verkörperten so etwas Geschlechtsloses und Körperfeindliches in ihren wallenden Gewändern. Aber weil das immer die erste Waldorfassoziation ist: Ja, ich kann bis heute noch meinen Namen tanzen.

derStandard.at: Wie kann man sich das vorstellen? Können Sie uns das zeigen?

Rubey: Ich bin draufgekommen, dass ich es eigentlich nicht mehr kann, aber ich probiere es jetzt trotzdem (siehe Video, Anm.).

derStandard.at: In Waldorfschulen werden Begabungen speziell gefördert. Welche waren das bei Ihnen?

Rubey: Es gab einen Schwerpunkt auf Theater, dem Musischen und Sprachen. Das alles hat einen großen Stellenwert in dem System. Diesen Aspekt habe ich immer genossen. 

derStandard.at: Denken Sie, dass Ihre Begabungen in einem anderen Schultyp auch so gut gefördert worden wären?

Rubey: Das ist schwer zu sagen, ich habe es ja nicht anders erlebt. Ich bin 1986 in die Schule gekommen und denke, dass man damals in Alternativschulen schon individueller gefördert wurde. Heute hat sich das sicher etwas angeglichen.

derStandard.at: Es heißt, die Waldorfschule habe dafür ein paar Schwächen bei der Vermittlung von Faktenwissen. Wie sehen Sie das?

Rubey: Die reine Faktenvermittlung in jungen Jahren halte ich für nicht sinnvoll. Ich habe dazu eine andere Theorie. Faktenwissen entsteht in erster Linie dadurch, dass Kinder fernsehen. Ein Freund von mir, der mittlerweile seinen zweiten Doktor macht, hat ein extremes Allgemeinwissen. Ich dachte, das liegt daran, dass er in der HTL war. Das stimmt aber nicht. Er hat als Kind immer schon diese Quizshows geschaut. 

derStandard.at: In der Oberstufe werden an der Waldorfschule Landwirtschafts-, Forst-, Industrie- und Sozialpraktika angeboten. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit diesen Erfahrungen in der Arbeitswelt?

Rubey: Das fand ich das Beste. Es war sehr eindrucksvoll, zu zweit auf einem Bauernhof "hardcore" wirklich acht Stunden lang Kartoffeln zu ernten und Kühe zu melken. Das Forstpraktikum hat mich nicht so interessiert, die Vermessungen im Wald habe ich auch nicht so verstanden. Das Industriepraktikum wiederum war super, ich war bei General Motors am Fließband. Das lehrt eine Demut, würde ich sagen. 

derStandard.at: Um die Matura zu machen, sind Sie an eine andere Schule gewechselt. Wie war der Umstieg?

Rubey: Nicht so schwierig, weil ich Bock auf Noten hatte. Da ich das nicht kannte, habe ich einen fast absurden Ehrgeiz entwickelt. In der Hegelgasse (Gymnasium im 1. Wiener Gemeindebezirk, Anm.) war ich ein erstaunlich guter Schüler, weil ich das Notensystem entlarvt habe. In Russisch hatte ich ein "Sehr gut" im Jahresabschlusszeugnis, ohne mehr als zehn Worte Russisch zu können. 

derStandard.at: Wie haben Sie das geschafft?

Rubey: Jetzt kann ich es ja sagen, es ist genug Zeit verstrichen: Ich habe mir von einer Russin, die in Wien lebt, zu jedem Thema Texte schreiben lassen und die dann auswendig gelernt. Ich habe gesagt, dass ich nicht zu den Vorbereitungsstunden komme, da ich schon Russisch kann. Und tatsächlich hat die Lehrerin nach dem ersten Prüfungsteil gesagt, dass es in meinem Fall lächerlich wäre, die Prüfung fortzuführen. 

derStandard.at: Haben Sie da Ihr schauspielerisches Talent entdeckt? 

Rubey: (lacht).

derStandard.at: Sie haben ja bereits in der Schulzeit an Aufführungen mitgewirkt. 

Rubey: Ja, es gibt eine wunderbare Videokassette, wo ich in "Das Käthchen von Heilbronn" den Grafen von Strahl im Stimmbruch spiele. Das klingt grauenhaft. 

derStandard.at: Wie ist das für Sie, wenn Sie sich dieses Video heute ansehen? 

Rubey: Ich tue mir total schwer, Sachen von mir selbst zu sehen. Aber das ist so weit zurück, das kann ich mir schon wieder anschauen. 

derStandard.at: Zufrieden mit der Leistung?

Rubey: (lacht) Nein. Wahnsinnig intoniert. Alles viel zu viel, viel zu laut. 

derStandard.at: War das damals in der Schule schon klar, dass Sie später Schauspieler werden wollen?

Rubey: Eigentlich schon, ja. 

derStandard.at: Gab es nie einen anderen Berufswunsch?

Rubey: Ich wollte eine Zeit lang Sportreporter werden. Und mein Vater hat ein paar Sachen aufgeschrieben, die ich halt so gesagt habe. Mein erster Wunsch war Formel-1-Fahrer, weil man da viel Geld verdient und sitzen kann bei der Arbeit. 

derStandard.at: Sie haben dann aber nach der Matura nicht gleich eine Schauspielschule besucht, sondern an der Universität studiert. Warum?

Rubey: Ich habe mir komischerweise plötzlich gedacht, dass Schauspieler so unsicher ist und so. Und dann habe ich angefangen - sehr klug! -, Philosophie und Politikwissenschaft zu studieren. Als wäre das ein sicherer Beruf. (lacht) Ich hatte eine Gruppe von Freunden auf der Uni, die auch heute noch meine Freunde sind. Ihnen bin ich sehr dankbar. Sie haben mir meine intellektuellen Grenzen aufgezeigt, weil sie richtige Intellektuelle waren. Ich hätte die Uni schon geschafft, aber bei diesen Diskussionen bin ich einfach nicht mitgekommen. Und ich wurde dann auch immer unzufriedener. 

derStandard.at: Und dann kam die Schauspielschule Krauss?

Rubey: Davor war ich, in meiner maßlosen Selbstüberschätzung, am Reinhardt-Seminar vorsprechen in der Erwartung, dass sie dort auf mich gewartet hätten. Ich bin dann nicht genommen worden. Dann habe ich von einem Freund gehört, dass er an der Krauss war. Der war wiederum in der Waldorfschule ein paar Klassen über mir, und ich habe ihn sehr bewundert.

derStandard.at: Dort muss man aber auch eine Aufnahmeprüfung machen, oder?

Rubey: Ja, muss man auch.

derStandard.at: Was halten Sie eigentlich von Zugangsbeschränkungen? Für Kunststudien gibt es Aufnahmeprüfungen, bei anderen Fächern an der Uni eher weniger. 

Rubey: Das wäre eine Extra-Diskussion wert. Auf der einen Seite verstehe ich die Beschränkung. Was jedes Jahr an den Schauspielschulen an Menschenmengen fertig wird, ist nicht integrierbar. Das geht sich vom System her nicht aus. Das heißt, es bleiben bestenfalls 15 bis 20 Prozent überhaupt im Beruf. Mindestens 50 Prozent von ihnen machen dann Kompromissgeschichten, die sie eigentlich nie machen wollten. Daher verstehe ich die Zugangsbeschränkungen. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass speziell der Schauspielberuf nicht lehrbar ist und die Schauspielschulen an sich in Frage zu stellen sind.

derStandard.at: Also haben Sie an der Schauspielschule nichts gelernt?

Rubey: Das hängt ganz zwingend mit den Lehrenden zusammen. Ich hatte an der Schauspielschule zwei sehr gute Lehrer, eine Lehrerin und einen Lehrer, die mir viel geholfen haben, um Grundsätzliches über den Beruf zu verstehen. Aber abgesehen davon muss man für sich selbst herausfinden, was einen originär macht. Das nächste Problem: Ich finde, es sollten nur Menschen unterrichten, die zufrieden und erfolgreich sind. 

derStandard.at: Hatten Sie an der Waldorfschule einen solchen Lehrer?

Rubey: Elmar Dick. Er war mein Theaterprofessor und hat in mir die Liebe zur Bühne geweckt. Bis heute verwirklicht er sich mit einer Besessenheit in einem Schultheater. Ich glaube, er hätte auch eine Regielaufbahn einschlagen können. Er hat das mit so einer Hingabe gemacht. 

derStandard.at: Werden Ihre zwei Kinder auch einmal in die Waldorfschule gehen?

Rubey: Ronja hatte am Montag ihren ersten Tag in der Schule, und es wurde keine Waldorfschule, sondern eine öffentliche Schule im 15. Bezirk. Es hat sich eine Schickeria herausgebildet - ich nenne sie jetzt einmal vorsichtig die "Falter-Bobos". Also ich mag den "Falter" und ich mag Bobos, ich spreche nur von diesem Aspekt. Sie spielen für Ute Bock, finden das alles super, sind alternativ, links und schicken ihre Kinder doch in die katholische Privatschule. Das finde ich falsch. 

Zweitens habe ich das Gefühl, dass die öffentlichen Schulen ein Realitätsbild zeigen. Da gibt es 15 Nationen, das finde ich gut. Ich habe das Gefühl, dass in den öffentlichen Schulen in den letzten 20 Jahren viel weitergegangen ist. (Rosa Winkler-Hermaden/Lisa Winter, derStandard.at, 5.9.2012)