Wien - Mündliches Erzählen als dramatische Form wird wiederentdeckt. Und dafür ist nicht nur Joachim Meyerhoff ein Beispiel, der mit der Serie Alle Toten fliegen hoch im Burgtheater-Vestibül für Jubel sorgte. Wobei dies nur eingeschränkt gilt, denn Alle Toten fliegen hoch war großteils eine szenische Lesung.

Die Derwisch erzählt-Serie hat ihrerseits dem Interkulttheater neues Leben eingehaucht; Aret G. Aleksanyan packt Erlebnisse aus dem Orient in abendfüllende Geschichten. Auch artverwandte Erzählformate wie Hörstücke (siehe die jeweiligen Reihen im Schauspielhaus Wien oder im Salon 5) werden immer beliebter. Und irgendwie ist auch Josef Hader ein Erzählkünstler, meint Birgit Lehner, weil er doch in seinen Kabarettprogrammen Geschichten erzählt (hat). Oder Justus Neumann, der mit halsbrecherischen Objekten die Nibelungensage extemporiert.

Mit ihrem eigenen Programm Wo die wilden Weiber wohnen hat Birgit Lehner am Samstag im Schuberttheater Premiere. Das nach Maurice Sendaks Wo die wilden Kerle wohnen betitelte Erzähltheater nützt die Rahmenhandlung eines norwegischen Zaubermärchens, um der Geschichte Liliths zu folgen, der ersten Frau Adams, die aus Protest davonflog. Es folgen Termine im Kabelwerk (18. 9.) und in der Tabakfabrik Linz (18. 10.).

Als Initiator des Erzählfestivals "fabelhaft!" hat der steirische Erzähler und Schriftsteller Folke Tegetthoff in Österreich viel Pionierarbeit geleistet. Doch ist Erzählkunst in Österreich eine wenig entwickelte und vielfach missverstandene Kunstform. "Es ist manchmal sehr mühsam, gegen das Feenhut-Image anzukämpfen", so die am Reinhardt-Seminar ausgebildete Schauspielerin. In Österreich gibt es vordergründig nur die Tradition der Volksmärchen, alles andere wird voreilig dem Kinderbereich zugeschrieben.

Lehner: "Mit dem Wort Märchen geht fälschlicherweise immer eine Verniedlichung einher." Generell tut sich der deutschsprachige Raum schwer mit den Begriffen (immerhin aber gibt es an der Hochschule der Künste Berlin einen eigenen Lehrstuhl für Erzählkunst).

In Frankreich nennt man die Kunst "les arts de la parole", also die Kunst des gesprochenen Wortes, und damit ist ein weites Feld gemeint. Auch das Epos. Im Englischen heißen die Erzählkünstler gemütlich " fireside tellers". Es kommt zwar der Temperatursturz, doch so entspannt wie vorm Kamin wird es bei Birgit Lehner nicht.   (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 12.9.2012)