Geht es nach Integrationsstaatsekretär Sebastian Kurz (ÖVP) sollen Kinder, bevor sie in die Schule eintreten, ausreichend Deutsch lernen. Sechsjährige sollen sich in der Vorschule im Rahmen eines "Deutschförderjahres" ausreichend Sprachkenntnisse aneignen. Für die älteren, neu zugewanderten SchülerInnen sollen je nach Sprachkenntnissen drei- bis sechsmonatige Kurse angeboten werden, so Kurz im Ö1- Morgenjournal.

Auch "urösterreichische" Kinder betroffen

Laut Kurz würden nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund für den Extra-Deutschunterricht in Frage kommen: "Ganz im Gegenteil, es kommt nicht darauf an, woher man kommt. Sondern es kommt darauf an, ob man Sprachdefizite hat oder nicht." Auch rund zehn Prozent der "urösterreichischen" Kinder hätten Sprachdefizite und  Sprachförderbedarf beim Schuleintritt. "Wir wollen eine bestmögliche Förderung von allen Kindern und Chancengleichheit. Was derzeit geschieht, ist verantwortungslos, nämlich Kinder ohne Sprachkenntnisse in die Schule zu schicken und sich dann zu wundern, dass sie nicht im Stande sind, dem Schulunterricht zu folgen", so der Staatssekretär. Hohe Mehrkosten für das Schulsystem erwartet Kurz nicht. Ein Schulkind koste gleichviel, ob es nun im Rechen- oder Matheunterricht sitzt oder ob es stattdessen in Deutsch unterrichtet wird, meint der ÖVP-Politiker.

Analysepapier

Kurz stützt sich bei seiner Forderung auf einen ersten Austausch mit dem Vorsitzenden des Expertenrats für Integrationsfragen, Heinz Fassmann, sowie dem für Bildungsfragen zuständigen Ratsmitglied Ilan Knapp. Derzeit gebe es enorme Probleme bei der Sprachförderung: Kinder mit Migrationshintergrund würden viermal so häufig die Schule ohne Abschluss verlassen wie "Einheimische".

"Außerordentliche Schüler"

Derzeit erfolgt die Beurteilung der Schulreife anhand körperlicher, intellektueller und sozioemotionaler Merkmale. Fehlende Deutschkenntnisse sind dagegen kein Grund für ein Verweigern der Schulreife und die damit verbundene Möglichkeit des Besuchs einer Vorschulklasse. Schulreife Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse werden dagegen als "außerordentliche Schüler" geführt und grundsätzlich in den Regelklassen unterrichtet. "Selbst unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Sprachunterrichts, der 'maximal' im Ausmaß von elf Wochenstunden erfolgen kann, weist das System insgesamt ein erhebliches Defizit an Verbindlichkeit auf", heißt es im Analysepapier.

Derzeitiges System "nicht sinnvoll"

Kurz findet dieses System nicht sinnvoll. "Es hapert daran, dass wir die Ressourcen nicht richtig einsetzen. Wir haben unzählige Kinder im Schulsystem, die Mathe- oder Sachunterricht über sich ergehen lassen müssen, ohne ein Wort Deutsch zu verstehen."

Bei der PISA-Studie habe sich wiederum gezeigt, dass die Unterschiede bei der Lesefähigkeit zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund im OECD-Vergleich in Österreich besonders weit auseinander liegen. "Ich will, dass in Österreich nicht die Herkunft über den Bildungserfolg entscheidet, sondern der Fleiß und das Talent. Derzeit ist beim Schuleintritt die Chancengleichheit einfach nicht gegeben, weil viele sprachlich noch nicht fit für den Unterricht sind."

Gemeinsam Turnen

Geht es nach Kurz, sollen in Österreich aufgewachsene Kinder ohne ausreichende Sprachkenntnisse beim Eintritt in die Volksschule zunächst einmal in eigenen Gruppen unterrichtet werden. Diese sollten so durchlässig wie möglich gestaltet sein - Fächer wie Turnen könnten so in der eigentlichen "Stammklasse" absolviert werden, wer seine Sprachrückstände aufgeholt hat, könne ebenfalls in die "Stammklasse" wechseln. Dies stehe auch im Einklang mit generellen Entwicklungen in der Schule: "Der Trend geht ohnehin in Richtung eines modularen Systems." Wer erst später zuwandert und ins Schulsystem quer einsteigt, soll laut Kurz bei Sprachproblemen mit "Crashkursen" in Kleingruppen fit gemacht werden, bevor er mit allen anderen Kindern den Fachunterricht besucht.

Kurz hofft, Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) von dem Vorschlag überzeugen zu können. Die Umsetzung werde einige Zeit dauern, aber, gerade bei langer Vorlaufzeit, müsse man jetzt damit beginnen, meint der Staatssekretär. 

Schmied gegen "Ghettoklassen"

Aus dem Unterrichstminsterium kam am Montag allerdings bereits eine Absage: "Wir sind gerne bereit, über alle konstruktiven Vorschläge zu diskutieren, nicht aber über Ghettoklassen, wie das die FPÖ und der Herr Staatssekretär fordern", hieß es. Viele Forderungen von Kurz seien überdies bereits umgesetzt oder "sehr undifferenziert". Ein "Deutschförderjahr" gebe es zudem bereits in Form des verpflichtenden letzten Kindergartenjahres.

Grüne gegen Vorschlag

Auch die Grünen sprechen sich in einer Aussendung gegen die "Trennung von der Schüler im Kleinkindalter" aus. "Statt Kinder mit Sprachdefiziten vom ersten Tag ihrer Schullaufbahn an faktisch in 'Problemklassen' zu stecken, braucht es mehr Lehrkräfte in ein und derselben Klasse", sagt Alev Korun, Integrationssprecherin der Grünen.

Unterstützung von FPÖ und BZÖ

Angetan zeigte sich dagegen FPÖ-Bildungssprecher Walter Rosenkranz in einer Aussendung: "Schön, wenn sich die ÖVP mit Verzögerung von ein paar Jahren endlich den Forderungen der FPÖ anschließt." Eine Entstehung von Ghettoklassen sieht Rosenkranz nicht: "Von einer solchen Regelung profitieren nicht nur Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen, hauptsächlich Zuwanderer, sondern auch die Kinder, die in den Regelklassen rascher im Stoff weiterkommen." Auf lange Sicht würden so auch homogenere Klassengemeinschaften gebildet.

Ebenfalls erfreut über die Vorstellungen Kurz' zeigte sich BZÖ-Chef Josef Bucher. "Es darf nicht länger Usus sein, dass Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache in die Schule eintreten und dort Deutsch von Grund auf erlernen müssen und mit diesem Rückstand auch die anderen Schüler am Lernfortkommen behindern", so Bucher in einer Aussendung. Er will nun die entsprechenden Vorschläge von Kurz per Antrag im Parlament einbringen.

Wien: 119 Vorschulklassen

Die Wiener Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (SPÖ) sieht Kurz dagegen schlecht informiert: In Wien sei die Förderung von Kindern ohne ausreichende Deutsch-Kenntnisse in der Vorschule bereits Realität. "So werden derzeit in 119 Vorschulklassen in ganz Wien Kinder mit mangelnder Schulreife in genau solchen Vorschulklassen betreut und fit für den Regelschulunterricht gemacht", so Brandsteidl in einer Aussendung. Ebenso verhalte es sich mit der Forderung des Staatssekretärs nach eigenen Deutsch-Kursen für ältere Kinder. Die Sprachförderkurse in der Volksschule sowie in der Haupt- und Polytechnischen Schule, aber auch die nur in Wien angebotenen "Neu in Wien"-Kurse für Seiteneinsteiger würden schon jetzt eine intensive Förderung für Kinder mit Sprachdefiziten ermöglichen. (APA/red,derStandard.at, 17. 9. 2012)