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Spricht den Hamlet nach, um selbst einmal König zu werden: Prinz Albert (Michael Dangl, re.) wird von einem Sprachlehrer Lionel Logue (Toni Slama) zum Sprecher ausgebildet.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Auf feine, hintergründige Weise wird Prinzenerziehung betrieben. Michael Dangl und Toni Slama brillieren.

Wien - Lichtspot an: Sie werden an dieser Stelle kein Sterbenswörtchen über Hollywood lesen, außer das unumgänglich Notwendige. David Seidlers amüsanter Stoff The King's Speech wurde von Tom Hooper verfilmt und 2011 mit vier Oscars ausgezeichnet. Colin Firth erhielt die Trophäe für seine Darstellung des stotternden Windsor-Prinzen Albert. "Bertie", dem nachmaligen George VI. (1895-1952), gelang es mithilfe eines australischen Logopäden, seine peinigende Schwäche in den Griff zu kriegen. So weit, so menschlich berührend. Licht aus.

Licht wieder an. Eine dunkelgraue Gesellschaft von britischen Hof-Offiziellen steht auf der Bühne der Wiener Kammerspiele (Einrichtung: Erich Uiberlacker). Die Schirme sind aufgespannt. Im Beisein des Königs (Erich Schleyer) soll Prinz Bertie (Michael Dangl), zweiter Anwärter auf den Thron, ein paar wohlgesetzte Worte in das BBC-Mikrofon sprechen.

Der Auftakt der Erstaufführung von The King's Speech - Die Rede des Königs ist peinigend. Bereits der erste Nachhall lässt Bertie fürchterlich erschauern. Das Prinzlein zittert wie Espenlaub. Nach der oralen Meuchelung von ein paar harmlosen Floskeln zieht der Hofstaat, voran der Monarch, reichlich indigniert von dannen.

Nichts deutet vorläufig darauf hin, dass Bertie König werden könnte. Sein Gebrechen versteckt der bürgerlich gesonnene Prinz hinter einer gewissen Steifheit. Behutsam entwickelt Regisseur Michael Gampe den Fall einer markanten Persönlichkeitsveränderung. Je näher der Prinz an den Thron heranrückt - sein Bruder David (Nicolaus Hagg) ist ein früh verlebter Filou -, desto mehr reckt sich und streckt sich der schüchterne Stotterer. Er wird ernst und zeigt Zähigkeit. Er überwindet sein Gebrechen und greift nach Krone und Szepter.

Sein Sprachlehrer (Toni Slama) aber ist sein Mephisto: ein Desperado aus "Down under", der mit bürgerlichem Anstrich und selbstsicherem Gebaren den Underdog vergessen lässt. Zwei Neurotiker erlernen voneinander die Kunst, nützlich zu sein. Der bürgerliche Prinzenerzieher verwindet die Schmach, als Schauspieler nicht zu reüssieren. Der spätere König George aber wird auf den Tugendpfad gelenkt: Er handelt verantwortlich. Er steht im Disput mit dem finsteren Erzbischof von Canterbury (Alexander Strobele) seinen Mann und zeigt sich sogar dem undurchdringlichen Zyniker Churchill (perfekt nachgebautes Double von Siegfried Walther) leidlich gewachsen.

Man darf es dieser feinen Aufführung durchaus nachsehen, dass die Frauenfiguren vor allem hübsch (Alexander Krismer als Prinzessin Elisabeth), patent (Therese Lohner) oder stumm (Eva Mayer) sind. Seine entscheidende Rede, die Großbritannien wachrütteln und gegen Hitler-Deutschland mobilisieren soll, geht George VI. prächtig über die Lippen. Zugleich meint man, in Dangls Gesicht bereits die beginnenden Anzeichen von Erschöpfung und Resignation zu erkennen. König zu sein ist kein Honiglecken. Das Licht ging aus in Wien, und ein frenetischer Jubel brach in Beisein des Autors los. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 22./23.9.2012)