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Jeder Dritte, der einen Herzinfarkt überlebt, und jeder zehnte Mensch über 75 leidet an einer relevanten Undichtheit der Mitralklappe - einer der vier Klappen des Herzens.

Foto: AP/MATTHIAS RIETSCHEL

Drei Tage lang dreht sich in Innsbruck alles ums Herz. Experten aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und Südtirol diskutieren beim Kongress Dreiländertreffen Herzinsuffizienz vom 27. bis 29. September aktuelle Trends sowie neue Diagnose- und Behandlungsmethoden bei schwerwiegenden Herzerkrankungen.

Ein zentrales Thema sind die sogenannten "idiopathischen" Herzmuskelerkrankungen. Rund ein Drittel aller Herzschwäche- (Herzinsuffizienz-) Patienten, also rund 80.000 Menschen in Österreich leiden an einer solchen "idiopathischen" Herzmuskelerkrankung. "Bis vor kurzem blieben bei dieser Form die Ursachen für den fortschreitenden Abbau der Herzleistung im Dunkeln. Mit immer besseren diagnostischen Möglichkeiten können wir jetzt aber dahinter liegende Gründe wie Viruserkrankungen, hormonelle Veränderungen in der Schwangerschaft oder genetische Zusammenhänge entschlüsseln", sagt Tagungsorganisator Gerhard Pölzl von der Universitätsklinik für Innere Medizin III, Innsbruck.

Perspektive für 80.000 Betroffene

Eine wenig bekannte Ursache für schwer wiegende Herzmuskelerkrankungen in jungen Jahren kann eine Schwangerschaft sein. Eine erst seit kurzem entdeckte Rolle spielt dabei das Still-Hormon Prolaktin. "Diese Erkrankung ist zwar selten - wir an der Innsbrucker Klinik sehen etwa fünf Fälle im Jahr -, hat aber einen besonders schwer wiegenden Krankheitsverlauf, der mit Prolaktin-hemmenden Medikamenten behandelt werden muss", so Pölzl.

Eine andere Ursache für Herzmuskelerkrankungen liegt paradoxerweise gerade in den Fortschritten der Medizin: Immer mehr Krebspatienten überleben ihre Tumorerkrankung, entwickeln dann aber aufgrund der toxischen Belastung mit Strahlen- und Chemotherapie eine Herzmuskelschwäche.

Herzmuskelentzündungen nach Virenerkrankungen

Eine weitere wichtige Ursachengruppe sind Herzmuskelentzündungen aufgrund von Virenerkrankungen. Hauptverantwortlich ist hier Parvovirus B-19. "Dieser Erreger ist an sich harmlos, im Laufe des Lebens haben gut 90 Prozent der Bevölkerung Kontakt mit diesem Virus, doch neueste Erkenntnisse zeigen, dass es bei einer entsprechenden genetischen Disposition zu dramatischen Entwicklungen für das Herz kommen kann", sagt Pölzl. "Diese Einsichten ermöglichen uns jetzt erstmals, auch erfolgreich therapeutisch an den Ursachen anzusetzen."

Die Kardiogenetik, also die Entschlüsselung genetischer Faktoren, ist eines der Hoffnungsgebiete schlechthin, wenn es um Herzmuskelerkrankungen geht, für die bis vor kurzem keine Ursache entdeckt werden konnte. Kann man die genetischen Grundlagen von Herzmuskelerkrankungen finden, ist es möglich, gezielter zu behandeln, Risiken besser abzuschätzen und Betroffene besser zu betreuen.

Neuartiges Clip-Verfahren

Ein mit der demographischen Entwicklung zunehmendes Problem sind Herzklappenerkrankungen. "Die Häufigkeit von Klappenerkrankungen nimmt mit dem Alter deutlich zu", weiß Christian Ebner, Leiter der Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz der ÖKG im Krankenhaus der Elisabethinen Linz. Bei 55jährigen liegt sie bei rund zwei Prozent, unter den Über-75jährigen sind bereits 13 Prozent betroffen. "Gerade bei den Patienten, die besonders behandlungsbedürftig sind, ist eine herkömmliche Herzklappenoperation wegen des hohen Alters und vieler Begleiterkankungen problematisch",  weiß Ebner und setzt auf neue Therapieoptionen in Form von Katheter-basierten Eingriffe als Alternative zur Operation am offenen Brustkorb.

Eine Innovation gibt es hier bei der Mitralklappeninsuffizienz. Jeder Dritte, der einen Herzinfarkt überlebt, und jeder zehnte Mensch über 75 leidet an einer relevanten Undichtheit der Mitralklappe - einer der vier Klappen des Herzens. 35 bis 50 Prozent aller Herzinsuffizienz-Patienten haben eine behandlungsbedürftige Mitralklappenundichtheit. Einige Spitäler in Österreich bieten jetzt eine Alternative zur belastenden Klappen-Operation mittels Katheter und Clip-System an.

Im Rahmen der Mitralklappen-Reparatur werden via Katheter die freien Enden des mittleren Abschnitts des vorderen und hinteren Mitralklappen-Segels mit einem speziellen Clip (MitraClip) verbunden, und so die undichten Anteile der Mitralsegel mit dem Clip abgedichtet. Ein Vorteil gegenüber der herkömmlichen Operation: "Der Brustkorb muss nicht geöffnet werden, das Herz nicht stillgelegt werden, es ist keine Herz-Lungen-Maschine notwendig", so Ebner. Patienten können bereits nach einem Tag die Intensivstation wieder verlassen.

Kunstherz & Pumpensysteme

Große Fortschritte gibt es auch im Bereich implantierbarer Pumphilfen oder "künstlicher" Herzen, berichtet Herwig Antretter von der Universitätsklinik Herzchirurgie in Innsbruck. "Bei schwersten Schädigungen kann das kranke Herz zur Gänze entfernt und vollständig durch ein Kunstherz ersetzt werden. Das erste kommerziell verfügbare 'total artificial heart‘ (TAH) in Österreich wurde 2008 von uns in Innsbruck implantiert."

Die wesentlich häufiger eingesetzte Form derartiger "künstlicher" Herzen sind sogenannte ventrikuläre Assistenzsysteme (VAD), moderne Pumphilfen, die die Pumpkapazität der geschädigten Herzen wesentlich ergänzen. Das kranke Herz bleibt im Körper, die Pumphilfe übernimmt den überwiegenden Teil der Herzfunktion.

Eine ebenfalls neue Entwicklung ist der Einsatz der künstlichen Pumpen als "destination therapy": also nicht bloß als Überbrückung, sondern als dauerhaftes Implantat statt eines Spenderherzens. "Man rechnet mit einer Lebensdauer von zehn bis 15 Jahren für diese Implantate. Dieser Anwendungsbereich wird aus verschiedensten Gründen wichtiger", sagt Antretter. "Zum einen haben wir leider auch in Österreich, trotz der im Vergleich zu anderen Ländern günstigen gesetzlichen Lage, einen Mangel an Spenderorganen. Zum anderen kommt eine Herztransplantation für eine Reihe von Patienten nicht mehr in Frage, zum Beispiel für ältere Menschen mit Begleiterkrankungen, oder für Tumorpatienten, bei denen die anschließende Immunsupression nicht möglich ist. Ihnen kann mit einer VAD-Implantation geholfen werden." (red, derStandard.at, 25.9.2012)