Foto: Gerhard Wasserbauer

Mehr als lässig: die Küche, die Alexander Mayer (re.) dieser Tage im Restaurant Diverso in der Wiener Mommsengasse kocht.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Besprechungen von Lokalen, in denen Alexander Mayer kocht, werden in der Sorge geschrieben, dass der außergewöhnliche Koch dort bei Drucklegung schon nicht mehr zugange ist: Konstanz, Geduld, gar Sesshaftigkeit sind eher nicht so seine Sache. Aber kochen kann er auf eine Art, die einen ungeduldig harren lässt, wann und wo es ein Gastronom wieder mit ihm wagen möge. Jetzt hat der Bauunternehmer und Hotelier Jamshid Gharabaghi diesen Mut bewiesen und den Mann mit dem tollen Händchen für sein "Diverso" am Rande des Wiener Botschaftsviertels engagiert.

Wo bislang ganz ordentliche, sardisch angehauchte Pasta serviert wurde, ist plötzlich ein Kreativlabor für zeitgenössische Küche eingezogen. Schon klar: Was Design und Lage angeht, lässt die Bude sich nicht mit dem selbsternannten Tempel der neuen Lockerheit auf der Tuchlauben vergleichen - wer aber echt lässige und große Küche erleben will, den sollte die vergleichsweise abgelegenere Adresse des Mayer'schen Arbeitsplatzes nicht schrecken.

Wie ernst der Mann es diesmal nimmt, wie klar er sich dem Geschmack verschreibt, statt sich wie viele Kollegen vor der angeblichen Überforderung des Gastes zu schrecken, wird gleich zu Beginn klar, wenn er eine ganz kurz pochierte, in jodfrischem Algengelee gefasste Auster servieren lässt, der eine Wolke von fruchtigem Zitrus Kontur verleiht: ein Weckruf für die Sinne, genau das, was ein Gruß aus der Küche sein sollte - und viel zu selten einlöst. Man möchte sich wünschen, dass die Kreation Zeit bekäme, zu einem Markenzeichen des Diverso zu werden.

Mittagsmenü

Weiter geht es mit rohen, geschälten Garnelen, die bei Tisch mit heißem Gewürzsud übergossen werden, in dem weißer Tee eine zentrale Rolle spielt. Die Meerestiere erstarren so zu zartwächserner Konsistenz, der Sud wirkt auf mannigfaltige Weise belebend. Sehr, sehr gut gelingt auch Tartare vom Taschenkrebs, das auf klassische Art von einer mit dem Corail des Krustentiers aufgezwirbelten Mayonnaise und knackigem Gemüse - kurz marinierten Rüben - kombiniert wird. Die Kaltschale vom Broccoli, die mitserviert wird, schmeckt zwar auch, so ganz passt sie aber nicht dazu. Mehr als lässig ist schließlich, wie zartfühlend Mayer einen knusprig auf den Schmelzpunkt gebratenen Waller (Bild) mit Miniaturen vom Grammelknödel, rohen Buchenpilzen und einer unheimlich sanften, ebenso klaren wie fettfreien Bouillon vom Sellerie kombiniert.

Solche Produkte kosten natürlich - zum Kennenlernen und bis auf Widerruf aber bietet Mayer zu Mittag ein Menü, das er frisch aus der Karte kombiniert, um mehr als wohlfeile 15,50 Euro an. Besonders angenehm: Wer bei der Reservierung entsprechend urgiert, hat in der Garage des vis-à-vis gelegenen Hotels Pakat einen Gratisparkplatz sicher. Ein Dilemma, das jeder für sich selbst lösen muss, ist die Frage, ob man Mayers Küche in jenem Stress erleben will, die Kritiken wie diese auf das Reservierungsbuch bewirken. Oder ob man sich und ihm noch etwas Zeit gibt - auf die Gefahr hin, dass er dann wieder nicht mehr da ist. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 28.9.2012)