Angewidert vom weltfremden Philosophiestudium verbrannte Wendefilm sein Diplom.

Foto: Standard/Habermaier

Zwei Jahre ist es her, dass der Schauspieler und ehemalige Philosophiestudent David Wendefilm während eines Vortrags des Philosophieprofessors Konrad Paul Liessmann an der Uni Wien aufs Podium gesprungen ist, um sich dort zu entblößen. Alles unter dem Motto " Zivilcourage - nackt für eine bessere Gesellschaft".

Zum Ende des vergangenen Semesters erhielt Liessmann erneut Besuch: Wendefilm drang in dessen Vorlesung über "Antiakademisches Philosophieren" ein, um dort zunächst in einer Brandrede die Sinnlosigkeit des Philosophiestudiums anzuprangern und anschließend öffentlich sein Diplomzeugnis zu verbrennen. Zu Wendefilms Überraschung haben Liessmanns Hörer sehr aggressiv auf die Aktion reagiert und ihn des Hörsaals verwiesen.

Ein Video der Performance wurde auf Youtube gestellt, wo es für heftige Diskussionen sorgt.

UniStandard: Haben Sie sich mittlerweile ein neues Diplomzeugnis ausstellen lassen?

Wendefilm: Nein, werde ich auch nicht. Wofür denn? Ich arbeite jetzt im Bereich Fotografie und Film, da zählt nur mein Portfolio.

UniStandard: Ihrer Ansicht nach lernt man im Philosophiestudium eher Abschreiben als Selbstdenken.

Wendefilm: Mir ist aufgefallen, dass man nie sagen kann, was man denkt, ohne gleich gefragt zu werden, woher man das hat. Dieser Zugang ist doch lächerlich! Wo kommen wir denn hin, wenn man nicht mehr frei denken kann? Man wird nicht angehalten, etwas Eigenes zu schreiben. Im Gegenteil, man soll Literaturlisten abarbeiten. Irgendwann sollte der Punkt kommen, wo eine akademische Disziplin ihre eigene Arbeit auch infrage stellt, aber das passiert meistens nicht.

UniStandard: Was wäre denn Ihr Anspruch ans Studium?

Wendefilm: Mein Anspruch wäre, dass wir uns über die wahren Probleme bewusst werden. Wir diskutieren akademische Abstraktionen von Abstraktionen, die komplett irrelevant sind. All diese abstrakten Denkmodelle haben doch keine Basis. Vielleicht bin ich ja zu dumm, aber wo liegt denn die große Erkenntnis bei Platon oder Kant? Wo ist der " kategorische Imperativ" denn so genial? Sagen Sie's mir! Wir bauschen und bauen diese Dinge auf, und je komplexer etwas ist, desto mehr wird es bejubelt.

UniStandard: Können Sie sich mit Liessmanns Zugang zur Philosophie identifizieren?

Wendefilm: Was ich an ihm schätze, ist, dass er die Philosophie einem großen Publikum zugänglich macht. Es ist ein Problem der akademischen Philosophie, dass sich alle gern zurücklehnen und aus der Beobachterposition heraus die Dinge beurteilen. Ganz emotionslos und nicht zur Tätigkeit inspirierend. Ich will mich aber nicht zurücklehnen, ich fühle mich betroffen und will mich ausdrücken. Es gibt grundsätzliche Probleme, und gegen die müssen wir etwas tun!

UniStandard: Was wären denn diese Probleme?

Wendefilm: Der Hunger auf der Welt, der ungleich verteilte Wohlstand, die Absurdität von Grenzen, die soziale Ungerechtigkeit. Das sind meine persönlichen ethischen Anliegen. Ich war lange Zeit in Brasilien, wo ich für diese Fragen sensibilisiert worden bin.

UniStandard: Und die Philosophie ist Ihrer Meinung nach dazu da, um diese Probleme zu lösen?

Wendefilm: Ja. Ich finde, die Philosophie sollte sich verpflichten, ethische Probleme nicht nur zu diskutieren, sondern zu lösen! An sich ist die Philosophie doch nichts anderes als Kunst - sie ist geschrieben und erfunden, das Produkt von einzelnen Schriftstellern, sie hat keinen Wahrheitsanspruch. Das Einzige, was sie von der Kunst unterscheidet, ist ihr ethischer Anspruch. Die Kunst hat keine Verpflichtung, ethisch zu sein, die Philosophie aber schon. Wenn sie diesen Anspruch nicht hat, können wir auf die Philosophie scheißen und sie als Kunstgeschichte unterrichten!

UniStandard: Die Philosophie ist also praktische Ethik und nichts sonst? Keine Ontologie, Hermeneutik, Erkenntnistheorie?

Wendefilm: Natürlich ist es gut, wenn das Grundstudium breitgefächert ist, damit die Leute von allem einmal etwas hören. Aber irgendwann muss man anfangen, sich konkreten Problemen zu widmen. Jede Abschlussarbeit muss verpflichtend einen ethischen Wert haben und dazu dienen, dass wir uns als Menschheit vorwärtsbewegen. Für den Kampf gegen Hunger ließen sich bestimmt hunderttausende Ansätze finden, die Sinn machen. Dieses Potenzial geht verloren, wenn wir es nicht fördern. (Julia Grillmayr und Dominik Zechner, UNI-STANDARD, 4.10.2012)