Was haben Harald Dobernig und der Ötscher gemein? Einen slawischen Namen. Ist ein slawischer Bergname aber "Einstiegsdroge" für noch mehr slawisches Gebirge in Österreich?

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Und wie gibt man nichtkulturalistische Antworten auf kulturalistische Zuschreibungen?

Harald Dobernigs deutschnationales Rülpsen hallt von den Wänden der Karawanken wider. Zumindest rülpst er aus, was sich viele denken. Dass der Rülpser einen schönen slowenischen Namen trägt, hätte Karl Kraus nicht verwundert, wusste der doch schon 1899 über die ethnischen Verhältnisse in Kärnten und der Untersteiermark bestens Bescheid. In seinem luziden Aufsatz "Slovenisch-Deutsch" (Auszüge daraus wurden am Freitag im Standard dokumentiert, Red.) kritisierte er die nationalistischen Ansprüche auf eine gemischtethnische Gesellschaft, unter anderem mit dem beiläufigen Hinweis auf die Familiennamen der deutschvölkischen Aktivisten seiner Zeit: Rakusch, Kokoschinegg, Stepischnegg, Jessenko, Jabornegg, Ambrositsch, Mravlag, Besgorschak und Podgorschegg.

An den slowenischen Nationalisten hingegen fiel ihm auf, dass sie Einspieler, Rauch, Kaisersberger, Mayer, Fischer, Hahn, Rosenstein oder Kramer hießen. Kraus beließ es nicht bei der Polemik, sondern wies mit feinem ethnografischem Gespür auf ein Kaleidoskop möglicher Mischidentitäten hin, welche dem Homogenisierungsdruck der nationalen Anrufung Hohn sprachen.

Er konnte sich damals noch ironische Gleichgültigkeit leisten und das Leid der Kärntner Slowenen in der Nazizeit nicht erahnen sowie deren permanente Diskriminierung, die bis heute währt. Denn das Ordnungsmodell einer sich als ethnisch begreifenden Majorität schafft zwingend Gegenidentitäten nach seinem Ebenbild.

Noch vor zehn Jahren traf ich im Lepena-Tal bei Zelezna Kapla / Bad Eisenkappel nicht wenige Menschen, deren Muttersprache zwar Slowenisch war, die sich aber mit heiterer Gelassenheit dem ethnischen Bekenntniszwang verweigerten. In Anbetracht des Ortstafelkonflikts und eines schleichenden Assimilierungszwanges ist diese sympathisch vormoderne Indifferenz auch problematisch.

Kollektive Benachteiligung erfordert kollektive Gegenwehr, eine Situation, in welcher der rein widerständige Bezug zur Herkunftsgemeinschaft mit dem essenzialistischen leider zusammenstehen muss. "Misery makes strange bedfellows!" Einen deutschnationalistischen Kärntner in Geschichte zu unterrichten aber hat vermutlich so viel Sinn, wie einem Ochsen Flamenco beizubringen; dennoch darf man auf lernfähige Zaungäste einer solchen Lektion hoffen.

Jeder einigermaßen gebildete Kärntner wird den nationalistischen Ochsen erzählen können, dass im Fürstentum Karantanija, dem ersten mitteleuropäischen Staatsgebiet nach der Völkerwanderung, weitgehend Slawisch gesprochen wurde und spätere Habsburger Herzöge beim Fürstenstuhl (Knezji kamen) auf dem Zollfeld (Gosposvetsko polje) noch im 15. Jahrhundert auf Slowenisch gelobten, die ständischen Rechte der freien Bauern zu respektieren.

Ich würde sogar behaupten, dass Deutschkärntner von Kärntner Slowenen bloß der Zeitpunkt ihrer Germanisierung trennt - und übertrage diese These auf ganz Ostösterreich. Nicht nur erstreckte sich Karantanien im 8. Jahrhundert bis in weite Teile des heutigen Nieder- und Oberösterreichs hinein, sondern es gab bis ins Hochmittelalter ein slawophones Kontinuum von der Ostsee bis in den Peloponnes.

Doch sobald ich rechte Ochsen, die genau wissen, was echte Österreicher und Kärntner sind, damit foppe, dass wir allesamt germanisierte Slawen seien, erlaube ich mir zwar einen ebenso gerechten wie berechtigten Spaß, muss aber auf der Hut sein, nicht selbst ins rechte Referenzschema zu stolpern, denn nur der Nationalismus legitimiert sich durch historische Gebundenheit an die Scholle.

Der Name des Berges, den ich als Kind am meisten bewunderte, des Ötschers, so lehrte mich mein Vater, komme von einem slawischen Wort für Vater, Ocàn, denn wie ein Vater überragt jener die erste Kette der nördlichen Kalkalpen. Fuhren wir ins Waldviertel, schwammen wir gerne im Dobra-Stausee. Ein Großteil der ostösterreichischen Orts-, Fluss- und Bergnamen geben beredtes Zeugnis ab von den ethnolinguistischen Verhältnissen vor der Bajuwarisierung.

Und der Namensforscher Otto Kronsteiner provozierte vor einiger Zeit mit der These, Ostarrîchi (Österreich) könnte sich ebenso vom slawischen Ostarik (Spitzberg) ableiten wie vom deutschen Ostreich. Warum nicht? Solche phonetischen Wechselbälge zwischen zwei Sprachen sind nicht selten.

Was im nationalen Denken noch immer als Selbstverständlichkeit herumspukt, war bis vor kurzem Common Sense: die identitätsspendende, ordnungstechnische Kongruenz von Stamm, Sprache, Territorium und Kultur, auch kultureller Essenzialismus genannt.

Gegen Ende des 19. Jh.s versuchten Rassenforscher diese ideelle Homogenität zu biologisieren. Zuvor, seit der Romantik, gab die Sprache das Schnittmuster für ethnische Grenzen vor. Und nicht von ungefähr schrieb Herder von Sprachseele und steckte das Feld ab, auf der sich später die Rassenseele einnisten sollte.

Heute sind wir klüger und uns des Konstruktionscharakters dieser Kategorien bewusst, wir wissen um die fließenden Grenzen von Kulturen, doch an ihren Kern glauben wir insgeheim noch immer. So vehement kann kein Antinationalismus sein, dass nicht die Spuren von zweihundert Jahren nationaler Erziehung darin nachwirkten. Es bedarf Presslufthämmer der kritischen Aufklärung, um die zu Wahrnehmungsklumpen geschmolzene einstige Vielgestaltigkeit aus dem kollektiven Unbewussten zu meißeln.

Die substantivische Verwendung von linguistischen Attributen etwa suggeriert noch immer leichtfertig soziokulturelle Einheit. Sind Menschen, die Slawisch sprechen, Slawen? Und Deutschsprachige Deutsche? Im simplen Geschichtsbild des barbarischen 19. Jahrhunderts (und des noch barbarischeren 20.) wandert ein Herrenvolk irgendwo ein und unterjocht, verdrängt oder assimiliert das alteingesessene Volk. Doch selten lief Geschichte so ab.

Um beim deutsch-slowenischen Beispiel zu bleiben: Die Anzahl germanophoner Siedler war zu Beginn der bajuwarischen Herrschaft vermutlich minimal. Vielmehr dürften größere Teile der slawischsprachigen Bevölkerung langsam bilingual geworden sein und ebenso allmählich die ursprüngliche Sprache hintangestellt haben. Die Ursachen für solch schleichende Akkulturierung sind mannigfaltig, die monokulturelle Zwangsassimilierung kennt man jedoch erst seit dem modernen Staat.

Vom Imperium Romanum bis zum Osmanischen und Habsburgerreich jedenfalls wiederholt sich ein Modell: Die Sprache der herrschenden Schicht, oft wird sie Verwaltungssprache, schafft einen Anpassungsdruck, der Prestige und Bevorzugung verspricht. Wo noch keine nationale Ideologie fiktive Gemeinschaft einfordert, werden Sprachen oft mit fröhlichem Pragmatismus gewechselt. Und wenn die frisch immigrierten deutschsprachigen Nachbarn einen besseren Stand bei Feudalherr und Bischof haben, wird man es sich vielleicht auch überlegen ...

Obwohl die slawischen Siedler demografisch im dünn besiedelten Ostösterreich größeres Gewicht gehabt haben dürften als die spätere bajuwarische Oberschicht, drängt sich die Frage auf, ob die Slawischsprachigen essenziell Slawen waren und nicht slawisierte Kelten, Illyrer, Romanen und sich das Spiel des Codewechsels mit der Germanisierung nicht bloß wiederholt hat. Und wer diese Kelten und Illyrer waren, darüber ist sich die Wissenschaft heute weitaus weniger einig als noch vor einer Generation.

Wenn in Bosnien Muslime Serben als Wlachen schimpfen, hat dies den wahren Kern, dass viele der Vorfahren der slawischen Orthodoxen erst spät Wlachisch gegen serbokroatische Dialekte eingetauscht haben. Und Wlachen auf dem Balkan sind nichts als die heterogenen Residuen jener romanisierten Bevölkerungen, die nie slawisiert wurden, auch wenn der rumänische Nationalismus Anspruch auf sie erhebt.

Stephen Oppenheimer hat in seinem Buch The Origin of the British mittels der Auswertung von Genanalysen den Nachweis erbracht, dass der demografische Einfluss von Angeln, Jüten und Sachsen auf die einstige britische Bevölkerung lächerlich gering war. Gerade die historische Genforschung rehabilitiert sich immer öfter durch die Widerlegung der Persistenz ethnischer Gruppen. Die Genpools verändern sich in den meisten Gebieten kaum, die Sprachen ständig.

Alle diese übrigens seit langem bekannten Einsichten müssten zu einem noch radikaleren Anti-Essenzialismus führen als dem gängigen. Oder etwas vulgärer: Wer die Nazischeiße vom reinen deutschen Volk mit den vielen coolen slawischen, kakanischen oder anders hybriden Gegenidentitäten wegwischen will, die angeblich das Österreichische ausmachen, läuft Gefahr, die Bremsspuren der Ideologie abzubekommen, die er bekämpft.

Was hat es für soziale und politische Relevanz für unser Leben, wenn wir mit unserer tschechischen Oma prahlen und uns deshalb beim Balkanfest slawisch-impulsiver vorkommen als der steife Berliner, der auch nur ein netter Kerl sein mag? Und ist es tatsächlich slawisches Blut, das durch unsere Adern fließt, oder nur slawischsprachiges?

Anders bei den Kärntner Slowenen, deren ungebrochene kulturelle Kontinuität von einer aggressiven völkischen Mehrheitspolitik bedroht wird. Sie treten so lange mit Recht als geschlossene Gruppe auf, bis die ihnen von der Verfassung garantierten Rechte bis auf den letzten Punkt erfüllt sind, um dann hoffentlich zur heiteren ethnischen Gleichgültigkeit der Bewohner des Lepena-Tales zurückzukehren.  (Richard Schuberth, Album, DER STANDARD, 13./14.10.2012)