"Zahlbar wohnen" oder schlicht ...

Foto: Putschögl

... "I love Genossenschaft": Die Schweizer Genossenschafts-Mieter halten die Fahnen ihres ...

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... "solidarischen Eigentums" gerne hoch.

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Damit das Zusammenleben funktioniert, müssen Regeln befolgt werden.

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In Österreich wird das heurige internationale "UNO-Jahr der Genossenschaften" kaum öffentlich wahrgenommen. In der Schweiz ist das anders: Die dortigen Wohnbaugenossenschaften zelebrieren ihr Geschäftsmodell, das auf Gemeinnützigkeit und Zusammenarbeit aufgebaut ist. "Zahlbar wohnen - Die Genossenschaften" steht da auf Transparenten, die von Balkonen hängen. Oder auch schlicht: "I love Genossenschaft."

Es ist nicht der einzige Unterschied zwischen den beiden Nachbarländern, was den sozialen Wohnbau betrifft. Das Schweizer Genossenschaftswesen ist verhältnismäßig klein und beschränkt sich im Wesentlichen auf wenige Großstädte. Der "Marktanteil" des gemeinnützigen Wohnbaus in unserem Nachbarland beträgt unter zehn Prozent; in Österreich liegt er bei einem Drittel. Dennoch ist die Schweiz laut Daniel O. Maerki, dem Geschäftsführer der Wohnbaugenossenschaften Zürich, ein "Volk der Mieter"; die Eigentümer sind hier in der Minderzahl (siehe dazu auch "Wissen").

Baulandmangel als Problem

Gemeinsamkeiten gibt es aber natürlich auch, wie auf einer Exkursion des "Vereins für Wohnbauförderung" nach Zürich, an der auch derStandard.at teilnahm, recht deutlich sichtbar wurde. Die Problematik mit dem immer teurer werdenden Bauland etwa spitzt sich auch in der Schweiz zu, berichtet Thomas Hardegger, SP-Nationalrat und Vize-Präsident der Wohnbaugenossenschaften Zürich. "Viele Landbesitzer verkaufen auf dem freien Markt", klagt er, weil es da mehr zu verdienen gibt. Am Land komme noch das Problem hinzu, dass "die Bevölkerung generell keinen gemeinnützigen Wohnbau" wolle, sagt Hardegger.

Wohnen und Wohnbau bzw. der Engpass an leistbarem Wohnraum sind als Themen deshalb gerade in aller Schweizer Munde. Allein in den vergangenen zwei Jahren gab es in Zürich fünf unterschiedliche Kampagnen für mehr leistbare Wohnungen. Erste Auswirkungen haben diese schon gezeitigt: Laut einem kürzlich abgehaltenen Volksbegehren soll der Anteil des sozialen Wohnbaus in Zürich bis 2050 auf 33 Prozent steigen. Dafür werden gerade Vorkehrungen getroffen, etwa dass die Genossenschaften günstigen Baugrund erhalten können.

Ersatzneubau statt sanieren

Weil Not schon lange erfinderisch macht, hat man aber in der Schweiz auch einen anderen Ausweg gefunden - nämlich das Prinzip des "Ersatzneubaus". Seit rund zehn Jahren werden insbesondere in Zürich die in die Jahre gekommenen Wohnhäuser abgerissen, der Bauplatz neu bebaut - so kann die Stadt sukzessive nachverdichtet werden. Neue, zeitgemäße Grundrisse und Kubaturen bringen mehr Wohnraum auf demselben Baugrund.

In Österreich sind solche "Besserungsbauten" um einiges schwieriger umzusetzen (siehe dazu auch Artikel). In der Schweiz ist das meist kein Problem: "Nach 60 bis 90 Jahren reißen wir die alten Häuser ab", erklärt Peter Schmid, Präsident des Regionalverbands Zürich im Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz. Er ist Herr über 64.000 Genossenschaftswohnungen. Derzeit sind die Häuser aus den 20er- bis 40er-Jahren an der Reihe.

Wer die Wohnung nicht mehr braucht, muss raus

Im großen Maßstab wurde das Prinzip "Ersatzneubau" vor wenigen Jahren beim "Brunnenhof" angewandt. Dabei handelt es sich um eine von fünf "Kolonien" (= Siedlungen) der stadteigenen Stiftung "Wohnen für kinderreiche Familien". Wer hier eine Wohnung bekommen will, muss mindestens drei Kinder haben.

In Zürich-Unterstrass hatte die Stiftung (Gründungsjahr 1924) im Jahr 1931 ein Wohnhaus mit 51 kleinräumigen Wohneinheiten gebaut. 2007 wurde es abgerissen und durch ein neues Gebäude mit 72 großen Wohnungen ersetzt, die nun zur reinen Kostenmiete vergeben werden. Die größeren mit 155 Quadratmeter Wohnfläche kosten bis zu 2.500 Franken (etwa 2.000 Euro) im Monat.

1.000 Euro für eine geförderte Wohnung

Dass das noch immer weit unter dem Marktpreis sein soll, klingt für österreichische Ohren unglaublich; allerdings sind die Niveaus in der Schweiz generell höher. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen im Großraum Zürich liegt bei 6.000 Franken pro Monat (knapp 5.000 Euro; zum Vergleich: Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Wiener Haushalts liegt bei unter 25.000 Euro). Eine Vier-Zimmer-Wohnung bekommt man auf dem freien Zürcher Wohnungsmarkt kaum unter 2.500 Euro, eine gleich große subventionierte Wohnung kommt auf knapp 1.000 Euro im Monat.

Wegen der öffentlichen Förderung gelten im "Brunnenhof" zudem Einkommensgrenzen, deren Einhaltung überdies jährlich nachgewiesen werden muss. Und noch etwas anderes ist hier selbstverständlich: Wenn eine Familie den Anspruch auf ihre Wohnung verliert, etwa weil ein Kind volljährig geworden ist, muss sie ausziehen. Diese Verpflichtung ist weniger im Schweizer Wohnrecht als vielmehr in den Statuten der Genossenschaft festgeschrieben: Das Recht auf die Mitgliedschaft geht verloren, wenn man die Kriterien nicht mehr erfüllt. Punkt.

"Solidarisches Eigentum"

Generell sorgt das im Vergleich mit Österreich wesentlich kleiner strukturierte Genossenschaftswesen - von den 256 Wohnbaugenossenschaften im Kanton Zürich haben nur 60 ein professionelles Management - dafür, dass sich die Bewohner weniger als Mieter, sondern mehr als vollwertige Genossenschaftsmitglieder und damit als "Mitentscheider" mit Rechten und Pflichten betrachten. Dieser "Mentalitätsunterschied", der sich auch im eingangs zitierten, völlig selbstverständlichen Hochhalten der Genossenschafts-Fahnen manifestiert, beeindruckte die österreichische Delegation - allen voran Gemeinnützigen-Verbandsobmann Karl Wurm und vwbf-Obmann Markus Sturm - durchaus.

In Österreich dürfte das Prinzip des "solidarischen Eigentums" wohl am stärksten noch bei privaten Baugruppen zu finden sein; ohnehin erinnerten manche Eigenheiten des Schweizer Genossenschaftswesens markant an die in Österreich relativ neuen Baugruppen-Initiativen. In Wohnhäusern österreichischer gemeinnütziger Bauträger sei das Herausstreichen dieses "solidarischen Eigentums" hingegen gänzlich unbekannt; "bei uns ist halt das individuelle Eigentum immer noch das höchste Gut", stellte Sozialbau-Chef Herbert Ludl fest.

120 freie Wohnungen in Zürich

In Österreich gibt es deshalb bekanntlich auch seit mehr als zehn Jahren die Miet-Kauf-Option bei Genossenschaftswohnungen. In der Schweiz ist das nicht vorgesehen, die Genossenschaften errichten ausschließlich Mietwohnungen, die auch Mietwohnungen bleiben - so lange, bis sie wieder abgerissen werden und Platz schaffen für neue Mietwohnungen.

Die Schweiz dürfte deshalb auch noch länger ein "Volk der Mieter" bleiben. Und zwar eines, das ständig am Optimieren der persönlichen Wohnfläche ist. "In Zürich wird im Schnitt alle fünf Jahre umgezogen", sagt Daniel O. Maerki, "die Wohnungssuche ist hier dauerhaftes Stadtgespräch." Und bei der derzeit vorherrschenden Wohnraumknappheit in der stark wachsenden Schweizer Metropole wird das auch noch länger so sein: Laut Maerki gibt es in ganz Zürich aktuell nicht mehr als 120 freie Wohnungen, der Leerstand beträgt damit 0,07 Prozent. (Martin Putschögl, derStandard.at, 25.10.2012)