Waldschrat mit Mission: Düringer.

Foto: Othmar Seidner

Wien - Früher hatte er Muckis, jetzt trägt er Perlenschmuck im Zottelbart. Aus Roland Düringer, Wutbürger der ersten Stunde, ist eine Art netter Waldschrat in halblangen Hosen geworden. Seinen volksaufklärerischen Predigtdienst, der eigentlich schon 2006 mit der viel zu pompös inszenierten Verkaufsshow Düringer ab 4.99 begann, setzt er aber kompromisslos fort: Auf ICHEinleben, wobei das "Ich" durchgestrichen zu sein hat, folgte nun, als zweiter Teil einer geplanten Vortragstrilogie, WIR EinUmstand.

Diese orthografischen Spielereien, vor denen auch Lukas Resetarits (UN RUHE STAND) nicht gefeit ist, sind ein Zustand. Auf der Bühne aber - Premiere war am Dienstag im Wiener Stadtsaal - herrscht die neue Schlichtheit: Düringer braucht für seine Vorlesung (ja, er liest immer wieder vom Blatt ab) nichts außer einem selbstgebastelten Rednerpult.

Der geläuterte Benzinbruder hat sich für seine Mission ein hehres, aber ziemlich hohes Ziel gesteckt: die Welt zu erklären, wie sie WIRklich ist. Und er hat sich auch ziemlich gut eingelesen: Zur "Vertiefung" gibt er seiner Zuhörerschaft mehrere Buchempfehlungen. Was nichts anderes bedeutet, als dass Düringer komplexe Materie "verflacht", also auf das Niveau von hitzigen Stammtischdiskussionen hinunterbricht.

Das macht er ziemlich gut, etwa wenn er den Versuch unternimmt, die Verschuldung und die Verteilungsungerechtigkeit zu erklären. Nicht er zahle seine Steuern, sagt er mit verschmitztem Grinsen, das tue der Zuschauer für ihn. Und er führt drastisch vor Augen, dass man mit ehrlicher Arbeit nicht reich werden kann. Das Thema (Volks-)Wirtschaft nimmt sogar die komplette zweite Halbzeit ein. Irgendwann wird es leider, trotz Aha-Effekten, langweilig. Möglicherweise auch deshalb, weil Düringer vor der Pause brillierte.

Als Ideal dient ihm der Neandertaler: Jener hatte die Zeit, wir hätten nur mehr die Uhr - und diese ticke schon lange nicht mehr richtig. Es gäbe zum Beispiel immer weniger Natur pur - außer im Supermarkt.

Als Grundübel bezeichnet Düringer die Manipulation: Lügen und Halbwahrheiten würden unser Handeln bestimmen. Nicht Gott habe uns nach seinem Ebenbild erschaffen, sondern umgekehrt wir ihn nach unserem. Jedem sei "ins Hirn g'schissn" worden, angefangen von den Eltern, deren Wunsch es sei, dass es den Kindern besser gehe. Doch "mehr" (mehr Geld) bedeute nicht unbedingt "besser". Und auch Zahlen können lügen: 3 ist zwar mehr als 2, drei Watschen sind aber nicht besser als zwei.

Manche Behauptung, etwa dass es ohne Sprache keine Lüge gäbe, hält natürlich keiner Hinterfragung stand. Und eines vergisst Düringer zu erwähnen: dass auch er manipulativ unterwegs ist.   (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 25./26.10.2012)